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„Gomorrah“ – Kritik zu Staffel 1 und 2

„Gomorrah“ – Kritik zu Staffel 1 und 2

Der Briefträger, der inzwischen täglich ohne Handy und Geldbörse von meiner Wohnungstür abziehen muss, wird es euch bestätigen: Klapo guckt neuerdings gerne mal eine Gangster-Serie. Dank euch stolperte ich dabei kürzlich über „Gomorrah“, dem italienischen Schreckens-Export mit der erweiterten(!) Lizenz zum Töten. Produziert von „Sky Italia“ mauserte sich das Ding inzwischen zum echten Geheim- … äh, -Schuss…?

Ja, diese Mafia-Serie zeigt schon in der ersten Szene, wie wenig es von der statistischen Lebenserwartung hält. Nämlich … wenig.

Einer der Handlanger war mal kurz bei der Polizei und macht verdächtige Geräusche, wenn sich das Hämorridhhoidenleiden meldet? – Der muss dann wohl mit dem eigenen Bein erschlagen werden. Einer der Jungs macht einen blöden Transenwitz über die Lieblingstranse eines Bosses? – Gehirnchirurg wird er mit DEN Händen dann nicht mehr. Einer der Händler rennt mit anderer Meinung als der Boss aus dem Teammeeting? – Der kann schon mal eine extra Urne für seine Zähne bestellen.

All diese Gewalt wird absolut realistisch und hart dargestellt; ohne Umschweife und romantisierende Effekte klatscht die Hirnmasse regelmäßig gegen schmuddelige Graffitiwände und Mehrzweckhallen. Das hat filmisch einen ganz besonderen Reiz, manchmal jedoch auch nur an den eigenen Magenwänden. Wer die etwas „familiärere“ Stimmung bei den „Sopranos“ gewöhnt ist (= 10 Minuten Elternsprechtag, 5 Minuten Stadtrat-Schmieren, 15 Minuten Pokerrunde), fragt sich hier vielleicht, warum die Figuren alle sooo negativ sind. Meine Antwort darauf: Was habt ihr denn erwartet? Eine Art Dexter, der nur den Unsympathischen die wirklich schädlichen Drogen verkauft?

„Und wo sind denn die positiven Frauenfiguren?“, wird vielleicht sogar der eine oder andere sagen, während den Herren wieder mal das Testosteron aus der Knarre fließt. Die cineastische und tiefenanalytische Antwort hierauf lautet natürlich: „Haltet die Fresse, ihr dummen Schlampen!“

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„Erschieß ihn, Jenni! Er hat es klar verdient!“ – „Aber, warum denn nur?“ – „Na, zwei Augen, eine Nase. Das sieht man doch sofort!“ – Straf- und Schießgesellschaft: Hier sind die Guten nur die, die maximal mal eine Zwei in „Religion“ hatten. Immerhin wird das dem flüchtigen Dreijährigen eine Lehre sein, einen Don einfach „Onkel Don alt?“ zu nennen.

Hier noch mal zum Mitsterben: Keine einzige der Hauptfiguren ist positiv. Der „Unsterbliche“, dessen Aufstieg man die meiste Zeit verfolgt, bietet sich mit seinen breiten Schultern natürlich immer wieder für Ankuschelversuche an, schreckt aber wegen seiner „Säuberungsaktionen“ wieder ab. Auch nähere Angehörige geraten in seine Klauen – manchmal auch versehentlich, bis ihm wieder einfällt, dass so ein Hals auch zum Luftholen da ist.

Die erste Staffel gefällt mir außerordentlich gut. Der Abstieg des alternden Bosses ist interessant, weil es eine ganze Familie (und die „Familie“-Familie natürlich) durcheinander würfelt – teilweise direkt über LOS!, aber auch in’s Gefängnis. Ein bisschen doof nur, dass (SPOILER!) der eher dösbattelige Specki-Sohn nach 2-3 Folgen Pause plötzlich als kriminelles Mastermind und „Ab-18“-Contentmaker zurückkommt. Die „Erklärung“ für den Sinneswandel: Er musste im Urwald einem Mann die Arme und Beine wegsäbeln. Danach war er halt reif für die Führung. – Bei allem Realismus gibt ein paar dieser Sprünge und „Muss man halt glauben“-Momente in der Serie. Nicht zuletzt, wenn Leute mit Schusswunden zwei Folgen später wieder rumlaufen, ohne dass man den Genehmigungsantrag für die Reha sehen durfte.

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„Ich habe euch doch gesagt, dass ich euch das ganze Gefängnis anzünde, wenn ihr mir nicht meine zuckerfreie Kräuter-Fanta bringt!“ – „Don, ihr Hintern brennt.“ – „WAS?! Aaah, zuckerfreier Kräuter-Löschschaum! Zuckerfreier Kräuter-Löschschaum!!“ – Der mangelnde Feinstaubschutz in den Koks-Fabriken spiegelt sich gerne mal im Verhalten der Figuren wieder…

Und, mal ganz im Ernst: Das, was am Ende der ersten Staffel passierte… Hätte man daaaa gewissen Personen nicht polizeiseitig mal an den Karren pinkeln können? Es war jetzt kein sprichwörtliches „Massaker im Kindergarten“, aber auch nur, weil die Kinder schon schulpflichtig waren. Das kratzte eeetwas an der Glaubwürdigkeit.

Der durchgängige Schrecken und der Einblick in‘s Milieu trägt leider in der 2. Staffel etwas weniger gut. Irgendwann hat man verstanden, dass jeder Hanswurst, der den „Bösen“ nur mal auf der Straße zuwinkt oder ihnen einen Blumenkohl verkauft, am Ende der Folge tot auf der Straße liegt. Wer hier glaubt, als Wasserzählerwechsler oder Werkstattgehilfe nur mal kurz seine Dienstleistung abliefern zu können, ist oft schief gewickelt – und dazu in seine Eingeweide.

Das macht es dann streckenweise etwas langweiliger, da man den „Gag“ des „90% sterben halt!“ irgendwann rafft. Hier hätte ich mir etwas längere Aufbauphasen von Figuren gewünscht, ganz im Sinne von „Game of Thrones“, damit man wenigstens die wichtigeren Nebencharaktere länger als zwei Folgen am Stück betrachten kann. Auch ein bisschen mehr Einblick in z.B. das Drogengeschäft wäre nett gewesen. Stets geht es verbal immer nur(!) um Verräter und die Topverkäufer, während nebenbei das geschmuggelte Zeugs aus Autos und Waschmaschinen gekratzt wird. Eine Folge, bei der der „Vertriebschef“ mit dem „Marketingverantwortlichen“ irgendwas unblutig zu lösen versucht, wäre da mal toll.

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„Ehrlich, dieser Raketenwerfer hat einen 1A-Schalldämpfer. Wir wollen den anderen ja schließlich nur einen kleinen Schrecken einjagen!“ – „Nein, der Tragegürtel knistert zu laut. Wir sind eine unauffällige Organisation, Jürgen!“ – Der Sch(l)ussmacher: Beim Drogenkrieg sind immer ALLE im Machtkampf. Das ist aber nicht schlimm, solange die Guten … äh, also die mit den guten Preisen gewinnen!

Im Groben und Ganzen liefert die Serie jedoch etwas ab, was man der italienischen(!) Serienlandschaft kaum zugetraut hätte: Ein schonungsloses, hochwertig verfilmtes Portrait der Mafia eben. Ja, es ist dreckiger und düsterer als „Sopranos“, weniger global und exotisch als „Narcos“ und meistens deprimierender als „Pulsader, let go!“, aber dennoch hervorragend. Hier wird nicht lange drum rum geschossen, hier regiert das Gesetz von Straße und Authentizität. Nur selten hat man das Gefühl, „nur“ eine Serie zu sehen – was auch an den Originalschauplätzen liegt und dem einen oder anderen Darsteller, der gar keiner ist. „Laienschauspieler mit Milieu-Bezug“ finden sich hier nämlich ebenfalls…

„Guten Tag, ich hätte da einen …“ – PENG! – „Hallo, ich wollte mal kurz …“ – PENG! – Am schlimmsten an der Serie ist immer noch, dass wir nie erfahren werden, was all die Leute eigentlich auf der Straße wollten.


Fazit: Dramaturgisch fehlt hier manchmal etwas die Fein(d)arbeit, aber dafür gibt es immer mal wieder einen netten jungen Mann, dem man a) den Tod wünscht, oder b) ihn davonkommen lassen sehen will. So ist man also ständig damit beschäftigt, sich a) diabolisch zu freuen, oder b) den Fernseher mit Exkrementen zu bewerfen. Kalt lässt einen die Serie aber nie – jedenfalls nicht so sehr, wie sie sich selbst gibt. Für die bereits angekündigten Staffeln 3 und 4 erwarte ich aber mehr als den typischen „Handlanger-Tod der Woche“.

Staffel 1:

ACTION
HUMOR
TIEFSINN
ALLES IN ALLEM

Staffel 2:

ACTION
HUMOR
TIEFSINN
ALLES IN ALLEM

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Artikel

von Klapowski am 02.11.16 in Serienkritik

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Kommentare (1)

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  1. huh sagt:

    War seit geschätzten 7 Jahren nicht mehr hier.
    Aber heute Nacht habe ich von Euch geträumt.
    Erstmal den backlog durchwühlen.

    Schön, Euch zu sehen, Freunde!

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