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„Drei“ – Ein Gastbeitrag von „Bright Angel“

„Drei“ – Ein Gastbeitrag von „Bright Angel“

Erinnert Ihr Euch noch an die Zeit vor zwei Monaten? Damals hatte unser Leser (oder ein sehr Chuzpe-behafteter Quer-Googler?) namens Bright Angel unter anderem eine SF-haltige Kurzgeschichte eingereicht. Eigentlich wollte er jedoch zuerst diese hier veröffentlicht sehen, was ich damals nicht adäquat umsetzte – aus satirischen Gründen vermutlich. Oder aus Schusseligkeit. Daher hole ich das heute mit Freuden nach und präsentiere die Geschichte … (*blätter, wusel, sortier*) namens „Drei“. Was vermutlich auch die Zahl der Storys ist, die ich hier noch von ihm habe…


Drei, drei Möglichkeiten, drei Möglichkeiten, wie es weitergeht, hat die Frau, die Business Lady ohne Kinder, die nicht in ihren besten Jahren ist, wie es die für Frauen nicht gibt. Sie tritt in alle drei und wählt eine davon aus, sie beginnt, natürlich, mit der ersten.

Sie ist mit dem Beetle nach der Arbeit auf dem Weg nach Hause. Ihr braunes Köstümchen sitzt figurbetonend eng. Scheiße, denkt sie, warum muss gerade Braun die Modefarbe sein? Da sieht doch alles aus wie Schei… ! Sie arbeitet am Stadtrand und lebt am Land. Das ist gut, so kann sie immer ihr schickes Auto zeigen. In Gedanken lässt sie sich schon von ihrem brasilianischen Toyboy einölen. Wunderbar! Das braucht sie jetzt nach einem harten Bürotag.
Sie hätte ja in der Firma auch lieber einen Sekretär statt einer Sekretärin, aber der müsste dann „Assistent“ heißen, sonst macht das kein Mann, „Sekretär“ klingt ja nur bei den Kommunisten gut, nein, nein, besser nicht, Schweinereien haben nichts bei der Arbeit verloren. Dafür hat sie schließlich Tão.
„Warum kriegt eigentlich eine Frau ab fünfzig keinen vernünftigen Partner mehr?“, fragt sie sich, während sie durch ihre Gemeinde zuckelt. „Ich meine, einen der nicht auf wirtschaftliche Vorteile aus ist. Der Direktor der hiesigen Raiffeisenbank ist zwar dreiundfünfzig, aber er will eine ganz Junge. Und so sind sie alle. Ab fünfzig bleiben dir nur Greise.“ Gut, diese Marke liegt noch vor ihr. Aber bald nicht mehr.
Jetzt steht sie vor ihrem Architekten-Bungalow, der so überhaupt gar nicht in dieses Kuhdorf passt. Sie drückt auf einen Knopf an einer Fernbedienung, und das Gatter fährt zur Seite. In der Einfahrt stellt sie das Auto ab. Die Sonne scheint, es ist Frühling, jeder kommende Tag wird wärmer. Mist, überlegt sie, ich hätte mir ein Cabrio kaufen sollen!
Tão ist nicht im Garten. Verständlich, was für uns warm ist, ist für ihn kalt. Er heizt ja auch noch das Haus, typisch Heißlandbewohner. Sie tritt ein. „Tão, Tãolein, Tãolinho, wo bist du?“, ruft sie. Kein Echo. Und kein Chemo-Geruch von Crack. Das kann nicht sein! Wo ist er nur, ihr Darling? Sie geht ins Wohnzimmer, und wer sitzt da auf der Couch? Nicht ein braun- und straffhäutiger Brasilianer – sondern Johannes Ponader.
Nicht ganz Johannes Ponader, aber fast. Ein Pirat eben, nicht einer aus Somalia, sondern ein Anhänger der Partei. Bleich und bebrillt, in Jogginghose, obwohl augenscheinlich unsportlich, Füße in Sandalen sitzt er auf dem Sofa und drückt auf einem Smartphone herum. Er twittert. Er sieht gar nicht auf. „Ich bin im Rückstand, Süße“, murmelt er. Sie fragt nicht nach, weil sie schon weiß, wie er das meint: Er hat heute erst zweihundertsechsundachtzig Tweets gepostet.

Das ist die erste Möglichkeit.

Und die zweite kommt jetzt.

Sie hat den Ordner vergessen, den roten, in dem der unterschriebene Vertrag drin ist, und zu Mittag kommen die Kunden. Er ist bei ihr zuhause. Sie führte kürzlich von dort ein spätes Telefonat, und dabei war der Ordner vonnöten. Das geht nicht, sie braucht ihn. Sie beschließt, ihn zu holen. Es ist Vormittag, von der Fabrik bis zu ihr sind es mit dem Auto ein paar Minuten. Sie fährt los. Mit ihrem Auto, welches das ist, ist egal. Das Auto ist nun nur ein Auto. Es spielt keine Rolle. Was jetzt wichtig ist, ist: die Frisur. Ein Bob, aber nicht so einer wie bei Michelle Obama bei der zweiten Vereidigung ihres Mannes, sondern ein längerer und ein richtig lässiger, Farbe: Goldie-Hawn-Blond. Ein Traum, letzte Woche geschnitten, von der Chefin selber, Manuela, mit der sie öfters mal auf Kaffee und Kuchen geht und Frauensachen bespricht, was zum guten Teil gealterter Mädchenklatsch ist.
Ja, es ist ja nicht so schlecht, denkt sie. Mit André läuft es gut, sie sind schon seit vielen Jahren zusammen, und haben gemeinsam dieses schmucke Häuschen gebaut, in dem sie leben, eine Mini-Villa, mit Wurzel-Hund. André arbeitet als selbständiger Versicherungsmakler vom „Hausbüro“ aus, wie er das nennt. Er schätzt Anglizismen nicht so sehr. Zusätzlich ist er Rechtspolitiker und sitzt im Gemeinderat. Bei der nächsten Wahl kommendes Jahr rechnet er sich Chancen auf den Bürgermeistersessel aus. Um seine nationale Gesinnung zu plakatieren, lässt er sich „Walter“ rufen, was sein zweiter Vorname ist. Sogar sie nennt ihn nur „André“, wenn sie alleine sind. Walters Hobby: die Jagd.
„Das ist ja nicht er“, sagt sie sich. „Er tut ja nur so, weil er Erfolg haben will. Männer sind halt so, da kann man nichts machen.“ Auch wenn er in Wirklichkeit „André“ heißt, hat er nie Aquarelle gemalt oder so einen Künstlerschal getragen, dieses eigene Timbre in der Stimme hat er auch nicht. Aber trotzdem: Er ist ein Guter, und sie liebt ihn.
Warum sind sie dann nicht verheiratet, nach der langen Zeit? Aber genau das ist es ja! Vor drei Wochen hat er sie gefragt, ob sie will, und sie hat geantwortet, ich will, ja, mit dir. Im Juli soll die Hochzeit sein.
Doch jetzt ist Schluss mit der Selbstrechtfertigung. Jetzt geht es um den Ordner und um sonst nichts, Punkt. Auch wenn André zuhause sein sollte, sie hat keine Zeit, okay, fünf Minuten vielleicht, aber die reichen nicht einmal für einen Kaffee aus der Espressomaschine mit Zigarette.
Da ist ja das schneeweiß getünchte Eigenheim schon. Sie parkt gleich auf der Straße. Der Hund schläft im Schatten der Berberitzenhecke im Garten. „Ahh, Uhh“, Frauengeräusche. Der Vorhang der Terrassentür im Wohnzimmer, wo der Fernseher steht, ist zugezogen. „So ein Schweinderl!“, sagt sie zu sich selbst. „Was tut der da statt zu arbeiten? Der sieht sich einen Porno an!“ Sie könnte läuten, aber das tut sie nicht. Es soll ihm peinlich sein. Sie sperrt die Haustür auf. Ein paar Schritte, und sie ist im Wohnzimmer. Und dort?
André auf der Friseurin. Ihrer Friseurin, Manuela, die sich ihre Lust aus dem Leib keucht, den Perser unter ihrem birnigen Hintern.
Seine Entschuldigung? „Ich hätte das ja nicht mehr während unserer Ehe machen können. Also habe ich es vorher getan.“ Eine gute? „Ja durchaus“, findet sogar sie.

Auch wenn diese Episode nicht erfreulich ist, es gibt noch eine dritte Möglichkeit, die dann aber die letzte ist.

Und die zeigt sich jetzt.

Diesmal ist sie zuhause. Ja, nicht auf dem Weg dorthin, sondern bereits da. Sie muss nur die Augen öffnen, dann wäre sie mit allen Sinnen hier. Aber sie will noch nicht, sie dreht sich im Bett auf die andere Seite, noch ein bisschen weiterschlafen. Doch gleichzeitig ist sie neugierig und lauscht genau den Lauten.
Die sind ungewohnt, viele Stimmen in einem von Latein durchsetzten Deutsch, hastige von Frauen, kommandierende von weniger Männern, sie hört keine Maschinen, dafür viele Schritte und ein leises von einer Frau gesummtes Lied.
Wo bitte ist sie hier? Jetzt will sie es wissen, sie macht die Augen auf.
Links von ihrem Bett sind Betten, rechts von ihrem Bett sind Betten. Sie sind im Moment nicht besetzt. Durch eine Öffnung in der Wand ohne Fensterglas sieht sie Rasen und dahinter wieder ein Gebäude. Aha, es ist dasselbe Gebäude, die Rasenfläche bildet das Atrium.
„Hey du!“, ein kräftiger Mann in einer blauen Tunika kommt rasch auf sie zu. „Schau endlich, dass du hochkommst, serva, und mach dich für die Orgie bereit!“
Jetzt ist es ziemlich klar: Ihre Chanel-Aktentasche und ihr MacBook Air, die neben ihrem Bett stehen, wird sie nicht mehr brauchen.
Naja, vielleicht auch nicht so optimal, aber immerhin. Sie will Schminke auflegen, sich parfümieren und ein wenig mit ihrer Blockflöte üben. Sie steht zwischen den Frauen, die mindestens fünfundzwanzig Jahre jünger sind als sie.

„Nein, nicht das!“, ruft der Mann. „Ab in die Küche, dort ist dein Platz!“

Diese drei Möglichkeiten stehen der Frau zur Verfügung. Daraus soll sie ihre Zukunft wählen. Es ist wie eine Wahl zwischen drei Krankheiten. Nein, sie weiß nicht, sie verweigert, sie lässt es geschehen.

Sie ist mit dem Beetle nach der Arbeit auf dem Weg nach Hause.


Hat es Euch gefallen? Wenn ja, warum?

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Artikel

von Klapowski am 20.06.16 in Gastbeitrag

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Kommentare (3)

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  1. Cronos sagt:

    Äh… Öh… Na ja. Ich fand die andere Geschichte mit dem alten Typen der seiner Vergangenheit nachtrauert und sich zum Schluss in eine Heile-Welt-VR versetzen lässt besser.

    Und hier? Nun ja, warum hat die Frau nur drei Zukünfte zum Auswählen? Kann sie sich nicht von Andre-Walter in privater Runde einölen lassen? Oder ein rotes Kleid anziehen (blau? gelb?).

    Ansonsten fand ich diese Geschichte ein wenig belanglos.

    • Klapowski sagt:

      Ich persönlich glaube, dass die „Frau“ anhand dieser speziellen Episode – zusammen mit dem Leser – die Singularität des Moments zu verstehen begreift; quasi das Substrat aus „Wollen“, „Können“ und „Wählen“, kristallisiert in den (Nicht-)Möglichkeiten des religiös verbrämten Subjektivismus. Siehe dazu auch die Formalismus-Substantivismus-Debatte in der Wirtschafts-Ethnologie.

      Oder sie fährt halt nach Hause und träumt von Orgien und Pornos.

      Antworten
    • Cronos sagt:

      Ok, sie wäre also lieber sehr viel jünger und hätte gerne mehr Sex. Leider klappt das nicht mal in ihrer Fantasie so richtig. Ist schon irgendwo halbwegs traurig. Aber so richtig mitgerissen oder beeindruckt hat mich das nicht.

      Antworten

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