„The Expanse“ – Review! Expandiert die TV-Serien-Welt?
Eins (bzw. eine Million Dollar pro 10 Minuten) muss man der freshen Weltraum-Serie schon nach den ersten 30 Sekunden lassen: So etwas Aufwendiges habe ich im Fernsehen zuletzt gesehen, als ich kürzlich bei einer TNG-BluRay einschlief und mir Michael-Bay-Effekte dazuträumte. Die Kameraeinstellungen, die Effekte, die Schnitte, sogar die Unschärfen zwischen anderthalb Zooms… Alles so top für eine SF-Serie, dass man Babylon 5 in 10 Jahren mal für ein Scherenschnittexperiment von Grundschülern halten wird.
Ja, natürlich sind die Effekte nicht gaaanz realistisch und die langen Kamerafahrten können nicht ganz verbergen, dass die Menschen irgendwie mit CGI-Spucke „reingeklebt“ werden mussten, aber die Machart alleine sucht schon ihresgleichen. „Stargate Universe“ sah zwar ab und an auch ganz nett und düster aus, aber wenn nur graue Wände vorkommen, kann man diese schließlich auch mal mit 24-karätigem Gold verkleiden.
„Dieses Schiff wurde verlassen.“ – „Lass uns um die Ecke gehen.“ – „Vielleicht waren es Piraten?“ – „Sei vorsichtig.“ – „Sie konnten immerhin noch einen Funkspruch absetzen.“ – Dialog aus dem Klischee-Trog: So richtig fetzig waren alle Gespräche hier jetzt nicht. Vor allem der GEWOLLT spannende Austausch von Mister Hutträger und seiner Exfreundin war eher ein Fall für das Buch „Kühle Stalker im Herbst“ als für meine Euphorie-Erweckung.
Der Sender SyFy lernt also doch dazu! Mit billigem Trash kann man in Zeiten von „Game of Thrones“ eben keinen halben Kult hinter’m Twitter hervorlocken! Wer in Zeiten von 30 neuen Serien pro Netflix-Nachahmer nicht Schau- und Schlauwerte verbreitet, ist schneller weg, als man „House of Cards“ sagen kann. – Was hier dann auch gleich den Nebeneffekte hatte, dass ich zuerst überfordert war von dieser bewegten Welt, die tatsächlich so wirkt, wie „Babylon 5“ immer sein wollte: Arbeiter schuften sich im Weltraum den Arsch ab (bzw. den Arm, wenn ein Asteroid drauffällt), auf großen Stationen geben sich Wanderprediger, Körpererweiterte und Kriminelle gegenseitig die Klinken in die Hand (= inzwischen vermutlich Zahlungsmittel, da Klinken selten und gar nicht mehr benötigt) und bevor man erst mal so richtig HALB durchgeblickt hat, wird in der Schwerelosigkeit schon sexmäßig aufeinander rumgeritten. Erwähnte ich schon die Bordelle?
Hier wird gleich klar, dass jeder nur ein kleines Lichtlein ist: Keine Überhelden, keine Selbstironie, keine „Wir erforschen mal schnell was und alle lachen den ganzen Tag!“-Stimmung aus Picards Drogenschrank der Lebenseinstellungen. Ungeahnte Details treten hier zutage: Wenn Familien zu lange im All leben, wachsen die Kinder wegen der geringeren Schwerkraft zu Lulatschen heran, haben dafür aber die Muskelkraft eines Neugeborenen mit Schüttellähmung. – Ja, die ersten Minuten werden solche Dinge erst mal nett erklärt, was durchaus notwendig ist.
„Extrablatt, Extrablatt! Statisten liebevoll eingekleidet! Kaufen Sie jetzt und stehen Sie später wieder einfach rum!“ – Detail-e mit Weile: Inhaltlich wird zu Beginn gleich ein ganzer Erklär-Bär abgeschossen, trotzdem lässt man sich aber Zeit, um das rappelvolle Umfeld zu zeigen. Gerade der Markt macht einen guten Eindruck; ein bisschen mehr Details (Zoom in die Scampi-Pfanne, Pantomimen mit Haltungsschäden) wären aber noch nett.
Überhaupt ist es schwer, erst mal alles zu raffen. Wie weit ist die Technologie? Wachsen neue Arme nach oder wachst man besser die Prothese ein? Wer kennt wen und wer findet wen anders eigentlich doof – Ausnahmen natürlich ein- und ausgeschlossen? Wo und wie herrscht jetzt künstliche Schwerkraft und wie genau läuft das auf der Erde ab, die man anfangs ja nicht sieht? Sind nur manche Menschen unzufrieden oder nur alle mit Dreitagebart? Wer kommt neu dazu, wer ist ein alter Hase? Und wieso trampelt der Opa aus „Breaking Dad“ zu Dudelmusik in Blumenerde auf dem Fußboden herum?
Hier wird man erfrischend gefordert, was allerdings auch auf der Negativseite bedeutet, dass man ähnlich „Game of Thrones“ und „Sopranos“ nach der ersten Folge erst mal denkt: „Geniale Serie! Komplex und durchdacht! Gucke ich garantiert nie wieder!“ – Hier muss man dem inneren Schweinehund vermutlich krankenhausreif zur Tür raus treten, um bis zum angenehmen Punkt beginnender Neuserien-Sucht zu gelangen.
Die Charaktere sind zu Beginn nicht sehr sympathisch, was einerseits gewollt ist, andererseits nicht. Ist halt schwierig, bei allen Schauwerten, grauen Gängen und Figuren mal eben schnell Mitgefühl für den neuen Commandeur ohne Hobbys und Eigenschaften zu entwickeln. Zwar wird gevögelt, gescherzt und sich Sorgen gemacht, aber wie in einem realen Arbeitsplatz weiß man eben nicht, ob man die Leute mag, bevor man nicht 3 x 50 Wochenstunden mit ihnen reingekloppt hat und weiß, warum der Schlaffi an der Konsole rechts Katzenkalender hat und so oft die Mutti anruft. Hier kann man nach einer Folge GAR NICHTS sagen, denn die Story ist gerade mal angerissen und liegt nun mit offenem Herzen in der Intensivstation hoffentlich begabter Drehbuch-Chirurgen. Ob aus der indischen Tante ein tiefgründiger Kultcharakter oder eine öde Sonderermittlerin mit traurigen Augen wird, das wissen nur die Episoden 2 bis 3.
„Ich sagte Ihnen doch, dass die Krankenkassenleistungen bei Haltungsschäden rückläufig sind!“ – „Mein Gott, das ist ja eine … Dystopie!“ – „Nein, das wäre ja Science Fiction. Wir selber nennen es ‚Fehlende Zusatzversicherung‘!“ – Chillen wider Willen: Manche Aufständische wirken richtig ver(an)genagelt! Was es mit diesem Kerl auf sich hat, erfahren wir leider nicht. Schließlich müssen uns ja noch 10 andere Schauplätze (un)begreiflich gemacht werden.
Ein bisschen mehr Leichtigkeit, und seien es nur bei 5 % der Screentime, fehlten mir jedoch jetzt schon. Da hatte auch Babylon 5 trotz aller Kriegsthemen in jeder Folge mehr Knallergags und Zitate für den Londo-Mollari-Gedächtniskalender übrig. Dafür gibt es bei „Expanse“ natürlich realistische Dinge, die man langfristig aber erst mal durchsetzen muss: Wenn bei der Beschleunigung erst mal alle in die Sitze geschnallt werden müssen, während weiße Milch durch Katheter tröpfelt (Anti-Aua-Serum, oder was?), ist das anfangs natürlich cool, dürfte aber bei straff erzählten Storys in Staffel 2 eher nerven und um Abhilfe in Form einer technischen Spontanerfindung betteln. Siehe die fehlenden Übersetzungsmodule bei „Enterprise“, Staffel 1.
Auch bin ich eher ungeduldig, was lange Atmo-Szenen angeht. Sicher war es bei „Alien“ cool, lange und glaubwürdig durch verlassene Gänge und leblose Schiffe zu stapfen. Aber wenn ich nach gefühlten 100 Jahren SciFi-Konsum ein havariertes Schiff mit Loch auf der Seite sehe, will mein internes Belohnungssystem in einer TV-Serie innerhalb von 5 Minuten wissen, ob es nun ein Alien, ein Unfall oder ein Saboteur/Angreifer war. Sich langsam drehende Kamereinstellungen und endlose Stampf-Geräusche („Ja, wir haben es kapiert, sie nutzen MAGNET-Schuhe!“) fallen da eher als Zeitschinder auf, selbst wenn nett gemeint. Schon bei „Stargate Universe“ wurde mir diese Art der „Dicken Hose“ („Guck mal! Atmosphärischer Filmstandard von 1985!“) zu oft eingesetzt. Dagegen ist das oft wegen Langsamkeit verlachte TNG ja fast schon herzschädigend!
Und trotz allen Aufwands hat mich das „explosive“ Ende dann überhaupt nicht mitgerissen. Ja, der Höhepunkt war dramatisch, und nein, ich habe nicht um eine Sekunde um die betreffenden Figuren gezittert. Ein schlechtes Zeichen bei einer Serie, gleich welcher Machart, Halbwertzeit oder Ausrichtung. Egal, ob die Figuren gut eingeführt oder einfach nur Gassi geführt wurden: Da erwartet mein Gefühlszentrum einfach mehr. Vielleicht auch einfach mehr Schauspiel, mehr Emotion. Rumspringen und Rumbrüllen hätte in dieser bestimmten Szene vielleicht geholfen, nicht pobäckiges Sitzbeschweren mit traurigem Blick in die Abblende. Schade!
„Wissen Sie, wo dieser Zug hält?“ – „Keine Ahnung. Sind wir denn auf einem Asteroiden, einer Raumstation oder komplett woanders?“ – Jenseits des Durchblicks: Manchmal hatte ich keine Ahnung, wo es hingeht und ob es dort, wenn man erst mal da ist, wieder was ganz anderes gibt. Freund Leichengesicht links scheint jedenfalls gerade irgendwas auszufressen. Fettreiche Nahrung wird’s wohl nicht sein.
Fazit: Eine toll gemachte Serie mit viel Potenzial, toller Technik, vielen guten Ansätzen und kompromissloser Umsetzung. Da tut es mit in der Seele weh, dass die meine auf der anderen Seite des Bildschirms keine spürte. Fast schon zu perfekt und vielseitig politisch interessiert erschien mir das alles. So, als sollte ich bei den erschreckendsten Bildern der Tagesschau dramaturgisch dranbleiben wollen, obwohl sich niemand gerne stundenlang hungernde Kinder ansieht.
Und die Charaktere… Nun, sagen wir mal so: Anderthalb von den bereits Getöteten fand ich immerhin nicht völlig nichtssagend.
Wie gesagt: Bestimmt obertolle Serie! Ich muss mich nur leider dazu zwingen, weiter zu schauen…
Entschuldigung, Herr Serienmacher, aber haben wir es irgendwie eilig? Ein flottes Erzähltempo ist ja nicht verkehrt, aber gerade die ersten Minuten waren für einen alten Mann wie mich schon etwas heftig. Bestanden doch bereits die ersten Minuten aus einer derart ungebremster Hin-und-Her-Wechselei zwischen den Schauplätzen und ihren anscheinend nicht gerade wenigen Charakteren, dass ich schon früh damit begann auf die Rückspul-Taste der Fernbedienung zu schielen. („Moooment, sind wir noch auf der Raumstation? Oder doch wieder auf dem Asteroidensammler?“)
Bei der Informationsschwemme werde ich wohl noch mindestens drei Durchläufe des Piloten brauchen, damit ich mir von all den Leuten wenigstens EINEN Namen merken kann. Bis jetzt endet das nämlich bereits bei „Typ mit dem Hut“, „Topfpflanzen-Verrückter“ und „Notruf-Gutmensch“. Aber, wer weiss, vielleicht haben viele dieses Problem auch in der Realität und verwenden kopfinterne Bezeichnungen wie „Arbeitskollege Laberkopp“ oder „Bäckerei-Bedienung mit Busen“?
Aber diese totale Gedächtnisinvasion ist eigentlich gar kein Nachteil, nur muss man für diese Serie das Smartphone einfach mal zur Seite legen, wenn man der Handlung auch vernünftig folgen will. („Waaaas? Ich soll nicht gleichzeitig WhatsApp checken, zum 9Gag Humor-Höhlenmenschen werden und mir eine Galerie der zehn gelbsten Türen auf Huffington Post ansehen?! ROFL, von wegen!“) Andererseits birgt der Wegfall solch einer… öh… Zielgruppe natürlich auch gewisse Quoten-Risiken mit sich, welches gerade bei dem offensichtlich etwas höheren Budget von Expanse ein Problem werden könnte.
Denn auf jeden Fall sehr gelungen ist die Optik, was bei einer auf SyFy ausgestrahlten Serie nicht selbstverständlich ist. Effekte wie der riesige Asteroideneinsammler, der innere Lebensraum einer orbitalen Station oder auch kurze Einstellung einer mit Dämmen geschützten Freiheitsstatue wirken gekonnt und mit Liebe zum Detail versehen. Was auch für die Kulissen gilt, welche ihren Teil zum „Worldbuilding“ beitragen. Denn dieses ist eigentlich mein persönliches Highlight des Piloten. Die verschiedenen Fraktionen (Erde, Mars, Asteroidengürtel) haben ihren eigenen Bräuche und Sprachunterschiede und selbst an die Auswirkungen einer unterschiedlichen Schwerkraft auf den Körperbau hat man gedacht.
Und, ganz wichtig, das Sonnensystem wirkt gross. Keine Lichtsprünge, sondern für die Crew sehr unangenehme Kurswechsel. Die Entfernungen zwischen den Handlungsorten scheinen noch richtiges Gewicht zu haben, statt „Wir sind in fünf Minuten da!“-Dialoge á la Star Trek Voyager. Die Menschen werden zudem von ihrer Umgebung definiert, was auch seinen Teil zur Handlung beiträgt. Dieser Blick in die Zukunft der Menschheit ist für mich jedenfalls bis dato der gelungenste.
Ob diese und die Figuren etwas taugen, kann nur nach dem Piloten wohl nicht festgelegt werden. Aber schlimme Aussetzer sind mir nicht aufgefallen, wenn bei einigen auch wieder mal der Model-Zwang bei der Besetzung durchscheint. Andererseits gab man uns aber auch den grantigen Knautschkopf aus „Breaking Bad“ und seinen doch im Gedächtnis bleibenden Weltraumkoller. Und auch die indische Erd-Politikern in ihrer Rolle als vielleicht-fiese Anti-Merkel (Hinweis an den Nachrichtendienst: Bitte Zusammenhang beachten!) fällt positiv aus dem Rahmen.
Fazit: Nach viel Durchschnitt und auch Gammel hat sich SyFy mal wieder richtig ins Zeug gelegt, bzw. ordentlich die Brieftasche aufgemacht. Der Bock der Macher ist vorhanden, die Handlung um politisches Gerangel und Intrigen zwischen den drei Mächten im Sonnensystem hat Potential und an der technischen Seite habe ich nichts zu meckern. Ich hoffe daher mal, daß man diesen (teuren) Aufwand auf Dauer halten kann. Dabei auch ruhig mal bitte auf die stellare Bremse treten.
Wertung: 7 von 10 Punkten
Ah, jetzt, ja… 23. Jahrhundert. Die Menschheit hat Teile des Sonnensystems besiedelt, die Erde ist total überbevölkert, der Mars hat sich für unabhängig erklärt und es gibt überall Streß, Ausbeuterei, Mord und Totschlag, kurz: Probleme.
Wenn ich so etwas sehen will, schaue ich abends Tagesschau mit anschließendem „Brennpunkt“. Daß Fernsehmacher noch einmal auf die Idee kommen, sich von ihrer trübsinnigen Gegenwart zu entfernen und eine naiv-hoffnungsvolle Utopie zu präsentieren, werden wir wahrscheinlich in absehbarer Zeit nicht erleben.
Wer will denn ernsthaft sehen, daß die Menschheit in 200 Jahren noch genauso blöd ist wie heute und vor 200 Jahren? Wie kann man an den Erfolg einer Serie glauben, die einfach die schlimmsten Verhältnisse unserer Zeit in die Zukunft und den Weltraum überträgt? Und weshalb gibt es nach Star Trek TNG nicht mehr genug Strom in Raumschiffen und Raumstationen für eine ausreichende Beleuchtung?
Früher dachte ich beim Schauen von SciFi-Serien immer: schade, daß ich das nicht mehr erleben darf. Heute denke ich nur noch: zum Glück bin ich in ein paar Jahrzehnten tot (günstigstensfalls sogar vor dem Ende der aktuellen Episode).
Naiv-hoffnungsvolle Utopie gibt es doch auch in der Tagesschau, jedes Mal, wenn darüber gesprochen wird, wie man den IS besiegt.
Ich finde es jedenfalls gut, wenn SyFy sich endlich mal zusammenreißt und eine gute SF Serie bringt.
Ich bin aktuell bei 1.6 und schon ziemlich angefixt. Als bekennender Logik-Nazi nervt mich schon die ein oder andere Kleinigkeit, aber an sich doch alles sehr stimmig.
Das mit den Emotionen stimmt auch nicht. Hab bei 2.5 ein paar Tränchen verdrückt. Durchhalten lohnt sich!
Magnetschuhe? Schon Scheiße! Ansonsten ist die Serie sehenswert, wenigstens bis zur letzten Folge der vierten Staffel. Da wird das große Rätsel gelöst und dem entsetzten Zuschauer doch wirklich nichts einfallsreicheres als ein neues Stargate präsentiert. Nun ratet alle mal, wie es in Season 5 so ungefähr weitergeht. Joseph Mallozzi, call your office!
Ich glaube Du redest vom Finale der 3. Staffel und was sie in Staffel 3 zeigen hat wenig mit Stargate (Tenor) zu tun. Was Staffel 4 und 5 angeht, nun dazu kann man nur sagen, dass Staffel 4 das ganz leise Prelude für Staffel 5 ist. Was ist das Problem mit den Magnetschuhen, macht für mich Sinn, falls man sich etwas normal in Schwerelosigkeit fortbewegen will.