Breaking Bad, Staffel 5, Teil 1 – Ein Meinungsbild
Noch immer ist „Breaking Bad“ eine der besseren Serien im deutschen Filesharing-Fernsehen, äh, wenn man die legal erworbenen DVDs (mit den Files drauf) seinen Arbeitskollegen leiht, meine ich! Der erste Teil der 5. Staffel ist sich des baldigen Endes der Serie anscheinend sehr bewusst, gehen handfeste Entwicklungen doch nun schneller vonstatten, ohne den Zuschauer ausschließlich mit tiefgründig gefilmten Wüsten- und Vorgartenhimmeln hinzuhalten. Die nach wie vor natürlich sehr nach Kunstausstellung („Der Mensch im Wandel der naturalistischen Einsamkeit“) aussehen.
Dies hier ist daher auch weniger ein Review, sondern eher ein Stimmungsbarometer nach Episode 5.08…
Der Weg eines gebrochenen(?) Mannes in den Untergang zu sehen, ist nicht die fröhlichste Beschäftigung, die man sich vorstellen kann (es sei denn, es ist Präsident Assad, der sich in eine laufende Mettwurstmaschine verheddert), aber es befreit ungemein. Quasi „Der Untergang“ mit Walter White als Bruno Ganz als Adolf Hitler als Emmypreisträger. Ja, Staffel 4 und 3 hatten ein paar Längen, bei denen man sich im Nachhinein fragt: „Musste ich wirklich sehen, wie Walt sich 24 Folgen lang von einem Hühnchenbräter terrorisieren lässt, der nur blinzelt, wenn Weihnachten und Ostern auf die Wintersonnenwende fallen?“ – Aber es geht ja um die Charaktere, darum, wie man in eine schlimme Sache herein gerät (Kriminelles Milieu, Lügenkonstrukte, Star Trek 11…) und diesen Weg unbeirrt verfolgt, bis man eines Tages seine Beine auf einem Kindergrab ausstreckt und abgebrüht sagt: „Was habt ihr denn? Der Stein ist doch sehr hübsch!“.
„Ehrlich, Herr Polizist! Ich saß hier mit meiner gelben Jogginghose in meiner Industrieruinen-Sommerresidenz und plötzlich legten mir unbekannte Leute überall Geldscheine hin. Meine Frau wird ihnen das bestätigen. Das ist die neuerdings stumme Frau beim Psychopathen… äh… Psychologen gegenüber.“ – S(chl)itzfleisch: Walt entledigt sich immer mehr Probleme. Das ist nicht immer ganz sauber, aber man hat sich seinen Job – nach den 138 Malen, in denen man hätte noch umkehren können – ja nicht ausgesucht.
All das wird in einer intimen und ruhigen Art erzählt, dass man den „Sopranos“ direkt zusehen kann, wie ihnen neidisch die Tagliatelle vom Teller rutscht. Ein Zugraub wird geplant (mal was ganz anderes!), die eine oder andere Leiche hergestellt (inzwischen reibt sich Walt nicht mal mehr das Gesicht, um damit Zerrissenheit auszudrücken) und auf einen plötzlich sehr reichhaltigen Pool an Bösewichten und Helfershelfern zurückgriffen. Das macht durchaus Spaß, nachdem jahrelang jede neue Figur mit einem „Adam&Eva“-Handzettel eingeführt wurde.
Walter ist die meiste Zeit der 5. Staffel auf dem Weg in das Dunkle, an den Ort, an dem die Restmoral nur noch mit Floskeln wie „Ich mache es für meine Familie“ und dem Klassiker „Wenn wir diese Leiche nicht zerstückeln, dann macht es halt jemand anders“ am Leben gehalten wird. Nicht jede Folge ist ein Oberhammer oder ein Ausbund an Spannung (es sei denn, man sieht sich vorher jeweils eine „Stargate Universe“-Folge an), aber als Gesamtkunstwerk ist der dröge Drogen-Drömel namens Walter ein intimes Experiment mit den Abgründe eines Mannes, der ebenso verloren erscheint wie sein Haupthaar. Jesse, sein Schwager und all die anderen Kaputten sind nur noch popelige Planeten, die sich um die Sonne namens Walt drehen. Und das ist gut so, denn so hat die Serie auch begonnen.
Nach der 4. Staffel fragte man sich, wie man es wohl rechtfertigen könnte, dass Mister White weiterkochen würde, nach all dem lebensgefährlichen Psychopathen-Stalking, der ihm mehrmals fast die Lochlosigkeit seines Schädels gekostet hätte. Wer, außer einem 18-jährigen Führerscheinneuling, würde mehrmals im Monat sein Leben und das seiner Familie aufs Spiel setzen, um Millionen von Dollar zu verdienen, die er eh nie wird offen ausgeben können? Was hat man von der Kohle, wenn die Lüge: „Den neuen Sportwagen konnte ich mir nur kaufen, weil ich ein Katzenvideo auf YouTube hochgeladen habe“ irgendwann auch nicht mehr zieht? – Doch diese Frage wird in der 6. Folge der 5. Staffel einigermaßen elegant beantwortet: Nur, weil er nichts anderes mehr hat, wird weiter gedealt und biologisch bedenkliche Ballaststoffe zu den Bahnhofsstraßen der Ballungszentren geliefert.
„Was dagegen, wenn ich mich dazu lege, Schatz?“ – „Ja, Walt. An all diesen Möbeln und Einrichtungsgegenständen klebt nämlich Blut!“ – „Oh, bist Du bei Deiner Periode etwa schon wieder nackt im Haus rumgelaufen?“ – „Nein, DU hast Menschen getötet.“ – „Aaach, die waren sowieso schon angeknackst, nachdem ich sie angeschossen hatte.“ – „Du bist ein Monster!“ – „Neee, ich tue das doch nur für unsere Monster… ähm… Kinder!“
Walter White hat nichts mehr zu verlieren, denn seine Familie und seine Unschuld sind ja schon in der in der Tonne für den (chemischen) Sondermüll. Das alles weiß er, denn er ist ja nicht so wie diejenigen, die „Breaking Bad“ immer noch nicht angetestet haben. Nämlich blöd.
Mitte der 5. Staffel spürt man quasi, wie sich das Unglück wie eine brechende Welle über Walt auftürmt. Der „Gute“ jongliert mit immer mehr Plänen, persönlichen Problemen und Personen. An allen Ecken und Enden bricht sein Drogenimperium zusammen oder baut sich unaufhaltsam auf; das mischt sich gewissermaßen wie Neuschnee mit Streusalz, jeweils immer mit dem Sieger, der einfach nur am längsten ausgestreut wurde.
Auch wenn in der 5. Staffel immer wieder mal Logikfehler gibt, so hat man selten das Gefühl, eine mittelmäßig geschriebene und wöchentlich rausgewürgte TV-Serie zu sehen, bei der Produzenten, Tagesform und Tittenforderungen (VOM Produzenten) die Qualität bestimmen. Es fällt sogar auf, dass die 5. Staffel sehr an Tempo zugenommen hat, wo die Seasons 1-4 teilweise mit Storys à la „20 Minuten in Cornflakes rühren, um innere Zerrissenheit zu demonstrieren“ aufgetrumpft haben. Nein, neuerdings geht alles Zack-Zack: Neue Mitarbeiter, neues Herstellungssystem, Polizeiprobleme, eine deutsche Firma im Hintergrund, vernichtete Beweise, eine neuerdings wieder empfindliche Ehefrau… Wobei Letztere wohl das unsicherste(/unlogischste) Element der Serie ist, aber gut, für die notwendige Einführung dieses Makels wurde Adam ja auch einst extra eine Rippe entfernt. Die liebe Skyler scheint sich die Herstellung von Drogen wohl wie ein Handtaschenkauf mit überzogener Kreditkarte vorgestellt zu haben: Augen zu und durch!
Erst, als ihr Wulff-iger Bekannter („Gib Geld, ich habe nur 3 Porsches und kann das Finanzamt nicht bezahlen!“) freiwillig mit dem Kopp gegen den Schrank rennt und sich den Hals in den Körper rammt, fällt Skyler auf, dass man als ehrliche Frau irgendwie doch weniger Probleme mit Drogengangs und Auftragsmorden hätte. Kann man ja als aufgeklärte Frau auch nicht wissen, dass die Ausbildung zum „Betäubungsmittelsystemkaufmann“ inzwischen vom Wirtschaftsminister gar nicht mehr als Ausbildungsberuf empfohlen wird, oder etwa doch?
„Schön, dass wir uns nun wieder so gut verstehen, Jesse.“ – „Stimmt, es ist einfach eine gute Chemie zwischen uns. Haha.“ – Bald wird eingesessen, dann aber nicht das Sofa: Walt und Jesse stellen so viele Drogen her, dass sich alleine auf dem Heimweg an beiden Händen je 5 Junkies festsaugen.
Aber ich beschwere mich über Skyler nicht, weil die Figur so blöd wäre, sondern, weil sie ihre Rolle so gut gespielt ist, dass man sich selbst über kleine Ärgernisse wundert. So als würde einem die eigene Mutter (die man über alles liebt, man weiß ja, wer einem mit 34 noch die Schnitten hinstellt) ständig in die Lieblingsserie reinlabern oder neben einem im Bett fürchterlich schnarchen. Die Figuren bei BB wirken eben echt, was auch darin seinen Ausdruck findet, dass man Walt eingehend betrachtet und anhand jeder Gefühlsfalte zu ergründen versucht, was er gerade plant oder fühlt. Und wer das Gesicht (wir nennen es auch liebevoll „Canyon der TV-Unterhaltung“) des Schauspielers kennt, der weiß, dass dies einem Fulltimejob gleichkommt.
Walt fällt auch hier fleißig egoistische, bösartige oder einfach leichtsinnige Entscheidungen, ist also so eine Art wandelnder EU-Gipfel. Und wenn man ihn darauf hinweist, dass der von ihm hinterlassene Leichenberg inzwischen bedenklich die Maximalbefüllung eines Fahrstuhles überschreitet, so wird er wütend. Großkotzig und gottkomplexig fletscht er dann seine sauber zusammenrestaurierten(?) Alte-Leute-Zähne und behauptet steif und fest, jetzt alles im Griff zu haben. Okay, die kleinen Irritationen in der Vergangenheit, bei denen das Erwischtwerden nur durch einen Geistesblitz oder clevere Drehbuchautoren verhindert wurde, waren durchaus nicht optimal. ABER wenn das Geschäft erst mal läuft und alle Leute hinüber sind, die einem mal unverlangte Werbeprospekte in den Briefkasten geworfen haben, DANN wird alles besser laufen!
Wie all das enden wird, steht in den Sternen, die ein Junkie nach dem Genuss von Walters heißer Ware sieht. Apropos Junkies: Wenn ich mir jedoch eines wünschen würde, dann mal wieder eine(!) ausführliche Episode, die sich mit den Endkonsumenten der Droge beschäftigt. Es muss ja nicht so eine plumpe Szene sein à la „Walt, guck mal, deine Kunden haben gerade ein Baby gegessen und die Immobilienblase platzen lassen!“, aber wenn man selbst als Zuschauer immer häufiger vergisst, wofür der Stoff eigentlich gebraucht wird („Ach ja, das sind ja gar keine Eiswürfel für Long Drinks!“), sollte man mal nachbessern.
Trotzdem gilt natürlich: BB ist Fernsehen vom anderen Stern und könnte theoretisch als „Kino für’s Fernsehen“ bezeichnet werden, wenn es denn im Kino etwas vergleichbar Hypnotisches geben würde. Die persönlichen Momente und Entscheidungen wirken selten hollywood’esk plakativ und wenn Skyler nach allerlei dummen Aktionen (z.B. einem spontanen Spaziergang – Am Grund eines Swimmingpools!) sagt, dass Walt besser sterben solle, so reißt dies mit… und manchmal auch runter.
„Verdammt, wer ist dieser geheimnisvolle ‚Heisenberg’? Ich muss wohl mal ein bisschen im Klokaffeesatz lesen (*Pfröt*)… Waaaas? Walts behinderter Sohnemann? Verdammt, DAS ist es! Deswegen hat er die Ausbildung zum Feinmechatroniker ausgeschlagen! Zur Feier des Tages humpele ich sofort ins Ghetto und lasse mich mal wieder anschießen!“ – Auf die (Brems)Spur gekommen: Ein blindes Hank findet auch mal einen Korn?
Größere Spoiler:
Das einzige, was mich gestört hat, waren die recht großen Zeitsprünge in Folge 8 (Zack, reich, Zack, aufhören, Zack, 3 Monate später). Was haben seine Mitwisser getan oder gesagt? Hat Walt seinen Dienstausweis und den alten Schlapphut an den Nagel gehängt und seinen Kumpanen ein Arbeitszeugnis geschrieben? Wie fand das die Firmentante, die ja auch mal gerne Mordaufträge rausjagt wie andere Frauen Schuhbestellungen? Und ist Hank jetzt wirklich überzeugt von Walts Schuld, weil ihm auf dem Klo dessen Initialien „W.W.“ wieder eingefallen sind?
Aber all das spielt keine Rolle, denn BB ist die Serie für Leute, die Serien mögen.
Wertung daher:
Und dort hat sich mittlerweile viel getan. Mußte Walter zu Beginn seine „Ware“ noch in einem alten, rostigen Urlauberhobel produzieren, stieg er Dank Bestnoten im renommierten Junkie-Magazin „Schuß her!“ schnell zum Chefkoch in den Kreisen zahnloser Feinschmecker auf. Aber auch dies war Walter nicht genug, weswegen er seinem Drogen-Chef auch prompt die Kündigung in die Hand und die Bombe an die Backe drückte. Der Weg zur Selbstständigkeit in der boomenden Meth-Industrie war also endlich frei! (Achtung ähnlich Denkende: Von einem Antrag auf Fördergelder der Länder wird abgeraten.)
Aber wie schon die Neulinge der Piratenpartei merkt man auch hier: Das ist alles gar nicht so einfach! Formulare müssen ausgefüllt, Anträge vorbereitet, Zulieferer gesichert, Positionen entschieden, Anwälte geschmiert, Zeugen gekauft und die Konkurrenz ausgeschaltet werden. Und von den Schwierigkeiten des Drogenhandels will ich gar nicht erst anfangen!
Klar ist natürlich, daß auch in Staffel 5 nur wenig so abläuft, wie Walter es sich vorgestellt hat. Jesse ist bereits vor einiger Zeit auf die Existenz von einem Dingsbums namens „Moral“ gestoßen und tritt dieses Mal auch etwas in den Hintergrund. Walt dagegen hat mittlerweile so viel verloren, daß er sich verbissen und rücksichtslos an den Aufbau seines Meth-Königreichs klammert und sich auch von Katastrophen wie den Mord eines Kindes durch die Hand von einem seiner Lakaien nicht aufhalten lässt.
Im Gegenzug gibt es dafür aber auch sehr spannende Momente, wie der Diebstahl einer wichtigen Meth-Zutat aus einem bewachten Zug. Oder die Vernichtung von Beweisen in einem Polizei-Lager via Supermagnet. All dies wird übrigens immer sehr professionell gedreht, was den Meisten wohl nur unterbewußt auffällt, aber doch einmal gerade im Vergleich zu unseren eigenen Schema-Schnarch-Serien lobend erwähnt werden muß. Hier sitzt jede Kameraeinstellung einfach richtig gut.
Fazit: Wer andere langlebige Serien verfolgt wird wohl auch schon bemerkt haben, daß die inhaltliche Qualität im Durchschnitt eher sinkt als steigt. Aber bei Breaking Bad schafft man es tatsächlich, einfach nur positiv konstant zu bleiben. Denn gelangweilt habe ich mich bis jetzt bei noch keiner Folge, was vielleicht auch an den eher kurzen Staffeln bei ingesamt nun 54 Folgen liegen kann. Ein Dauerhigh, welches man auch nur mit einer Reinheit von 99 Prozent erreichen kann. Huuuui!
Wertung: 8 von 10 Punkten
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