„Stereo“ – Kritik zum neuen deutschen Nachwuchsfilm
Ein deutscher Film, der im Netz mit meinem geliebten „Fight Club“ verglichen wird? Mit den eher besseren Darstellern Moritz Bleibtreu und Jürgen Vogel? Also klassisches Wahnsinns-Drama mit fast schon übernatürlich schrägen Elementen? Gangster-Plot inklusive? Sollte da irgendetwas schiefgehen, was hier nicht mit Fragezeichen abgedeckt werden könnte? – Unwahrscheinlich, wenn man bedenkt, dass nach wenigen Minuten schon ein Hellseher-Opa im Rollstuhl auftaucht, der Ahnung von all dieser Materie hat…
Regie: Maximilian Erlenwein
Jahr: 2014
Budget: Mir egal
Genug der Einleitung, gleich Tacheles: Nein, das ist nichts geworden. Trotz teilweise hymnischer Kritiken. Dabei hatte der Film doch so viel aufzubieten.
Zum Beispiel wird an Klischees nicht gespart – es soll ja keiner leer ausgehen, der mal vor 5 Jahren 10 Jahre alte Ami-Erzählmechanismen für sich entdeckt hat.
Irgendwie schafft es die Geschichte nicht, die Balance zwischen „nebensächlich und unaufgeregt erzählt“ und „Oh Gott, der Film geht ja auch zwei Stelzen – in seinem Popooo!?“ hinzubekommen. Zwar wirkt es zwischendurch immer wieder mal cool und düster, im nächsten Moment aber doch wieder wie aus dem Laientheater der Gelsenkirchener „Tatort“-Gedächtnisgrundschule. Das beginnt (bzw. ENDET geduldsfadentechnisch) schon mit dem Auftritt des fiesen Schurken, der dem Aussteiger Jürgen Vogel zu weiteren Krimihandlungen verführen will. Schauspielerisch übrigens auf eine Art, bei der man das anfängliche „Rah… Aah? Ah!“ nach einem kurzen Nachdenken nur noch rückwärts aussprechen kann. „Ha! Haa? Har…“
Im Ernst: Dialoge, die derartig ablaufen, haben irgendwas falsch gemacht – wobei „irgendwas“ nur ein Synonym für „keinen Bock, das hier alles aufzuzählen“ ist:
Fieser: „Erinnerst du dich an mich?“
Vogel: „Du … warst auf dem Spielplatz.“
Fieser (*hält rumliegendes Bild von Vogels Freundin hoch*) „Entspann dich. Wir stehen auf der selben Seite. Ich weiß, wie das ist, wenn man sich ständig beobachtet fühlt.“
Und das muss an Text vorerst reichen, um dem Zuschauer zu erklären, warum dieser Gangster jetzt toootal viel Motivation für’s nächtliche Waschkeller-Stalking hat.
„Oh, die bauen gerade einen lasziven Turm aus Leibern, um sich anzutörnen. Tja, wer mag das nicht? (*Neid wegschieb*)“ – Stapelophilität ist nichts Unnatürliches: Mit feinen, pointierten Strichen zeichnet dieses Werk ein vielfältiges, realistisches Bild der Rotlichtwelt … NICHT.
Und in diesem Moment der trauten Klischee-Crimekiste springt auch schon Moritz Bleibtreu aus dem Schatten. Seines Zeichens die böse Halluzination von Jürgen Vogel. Seine Hoodie-Perücke ist schon hier das untrügliche Zeichen, dass diese Figur eher der Kraftschlumpf unter den Virtuellen ist. Körperlos, aber immer mit einem krassen Spruch auf den virtuellen Lippen: „Töte sie!“ zum Beispiel, als Vogel gerade vor zwei Kids steht. Kombiniere: Wir sehen hier also so eine Art „Fight Club“-Tyler Durden in der degenerierten Ghetto-Variante. Eine Art witzlosen Oliver Pocher, welcher der Hauptfigur erscheint, damit sie versteht, dass man mit lustigen Zähnen und unlustiger Vergangenheit immer noch zwischen zwei Welten schwebt. Vielleicht wegen der plakativen Tattoos? – Oh welch Drama, oh welch Qual!
Weder weiß man zu diesem Zeitpunkt, wie Vogel wirklich tickt, noch, warum einen das interessieren sollte. Seine Freundin ist halt sexy (was sie durch gespielten französischen Akzent auch jeden zeigt, der das auf Facebook nicht wörtlich ausgeschrieben ertrug), der Vater konservativ, die Kinder halt so niedlich und unschuldig, dass man gleich die passende Anti-Motivation zum Morden und Rumhuren hat. – Kurz: Ein durchschaubarer deutscher Versuch, große Vorbilder des Filmjahres 1925 ausgiebig zu kopieren…
Dass der sofortige Besuch einer Nervenheilanstalt(!) ebenfalls nach 1925 aussieht (geflieste Schlachthausflure, irre rumschreiende Patienten, desinteressierter Pannemann-Arzt…), erhöht dann auch nicht die Motivation, dem ach so schrägen Film weiter durch die Untiefen der eigenen (Qualitäts-)Abgründe zu begleiten. Ein Arzt, der ohne Grund einem seelenruhigen Patienten eine Beruhigungsspritze geben will? – Nein Danke, da steige ich im Jahre 2016 gleich wieder vorne aus. Auch wenn man das bei uns an der Busfahrertür gar nicht darf.
„Filmförderung hin oder her: Können sie machen, dass diese unsympathische Erscheinung weggeht, Doktor?“ – „Seltsam, das wollte ich unseren Sicherheitsdienst auch gerade über SIE fragen, mein Herr!“ – Mach das Ding weg: All diese „Ich bin du, du bist mich“-Storys hat man schon hundert Mal gesehen. Aber nur 99 Mal besser. Immerhin … ?
Nach einer plötzlichen Séance, sinnfreiem Rumgeschreie und gähnigster Gossensprache („Meinst du, ich habe Lust, in deiner verwichsten Werkstatt rumzuhängen?“, „Fick die Schlampe auf der Werkbank!“), sehen wir wenigstens Damian wieder – ja, dieser schräge Gangster aus der Serie „Morgen hör ich auf“! Endlich mal ein wenig Schauspielerei im schunkelnden Mimikstadl!
Leider geht es danach mit der flachen Räuberpistole weiter, mit seltsamen Enthüllungen („Ja, duu stehst ständig nachts au-hauf!“ – Bitte dies mit der Stimme einer Barbara-Salesch-Nebendarstellerin lesen) und mit vielen, vielen weiteren Versatzstücken aus „Fight Club“. Doch was David Fincher noch zum Meisterwerk aufplusterte, verkommt hier zur Nummernrevue aus schlechten Sprüchen und lulliger Laberei. Der mysteriöse(?) Opa mit dem Esoterik-Akzent (oder was immer das sein sollte) machte es auch nicht gerade besser: „Sie … sind … Gehirnkrankheit! Wenn Nadel rausziehen, sie … so … bleiben!“ – Danke für die Heroin-Metapher! Werde ich demnächst mal auf dem Marmeladenbrot einnehmen.
„Ja, ich spüre schon Besserung! Die Besessenheit von psychischen Krankheiten weicht von den Drehbuchautoren wie ein … ein … – Ach, fick die Alte, du Mettwurstgesicht. Muhahahaha! Ich bin drei, du bist einer?! Piepmatz, Piepmatz! Muss töteeeen!“ – Geiler Stecher: Ein weiteres Beispiel dafür, warum Krankenkassen keine Akkupunktur bei Möchtegernkunst bezahlen sollten. Wäre hochgerechnet ja viel zu teuer für Deutschland.
Die restliche Gangster-Geschichte vertiefen wir jetzt nicht mal. Ist alles verquarzter Käse zwischen Kunst, Kot und spannungsarmer Langweile. Allein der langgezogene Showdown aus sinnfreiem Beobachten diverser Pistolenläufe hätte schon zum Abschalten gereicht. Zugegeben, dann hätte man ja verpasst, wie Vogel die elende Kaffee-und-Kuchen-Situation auflöst: Er lässt sich in den Bauch schießen, um dann alle anderen zu erledigen. Mieses Ende inklusive.
Immerhin brummte die Musik da schon seit einer Stunde hübsch finster vor sich hin – Schnarchen?
Was als Trailer noch flott und knackig wirkt, ist in der 90-Minuten-Edition eher eine Werbung für 18 Fünf-Minuten-Zigaretten. Aber dann draußen, nicht vor dem Fernseher.
Fazit: Düster, aber völlig ohne Emotionen. Ein dauerhechelndes Plagiats-Panorama von erschreckend kurzatmiger Aussagekraft. Kunstblut, eine oberflächliche „Morde im Puff“-Rahmenhandlung und Fickificki-Sprüche reichen eben nicht, um eingebildeten Charakteren neues Leben(?) einzuhauchen. Gut, dass wenigstens das ZDF beteiligt war – da kann man sich die Zeit nach dem Abschalten wenigstens mit kreativem „ETWA UNSERE GEZ-GEBÜÜHREN?!“-Geschrei vertreiben.
Habe den Film vor ca. 4 Wochen gesehen.
Das weiß ich aber auch nur, weils auf dem Ausleihzettel steht.
Selbst nach dieser Kritik kann ich mich an absolut gar nichts erinnern.
Sie haben es zumindest mal versucht. Jetzt kommt wieder 1000x Tatort. Und zwar der aus Hinter-Unterammergau, weil diese Region noch unverbraucht ist oder die Landschaft so schön oder so.