„Black Mirror“ – Review der kürzesten Lieblingsserie
Tut mir wirklich leid, liebe textorientierten Fäkalgourmets… Lange Zeit gab es hier keine echten Serienreviews mehr. Aber das haben sich die Macher selbst zuzuschreiben: Selbst ein Verriss muss sich dieser Tage durch zuvor geschürte Vorfreude ehrlich und redlich verdient werden. Da reicht es nicht, jährlich neues SF-Gedöns rauszuwerfen, über das in der eigenen Weihnachtsfolge schon keiner mehr spricht. „Black Mirror“ ist jedoch die rühmliche Ausnahme. Denn BESSER geht es hier nur noch, wenn an jeder Folge ein 100-Euro-Schein für den Zuschauer hängt.
Doch was ist Black Mirror genau?
Die Antworten klingen erst unbeeindruckender als die Ankündigung des vierten LOST-Klons: BM ist eine Sammlung voneinander unabhängiger Episoden im Stile von „Twilight Zone“. Okay. Doch was ist „Black Mirror“ wirklich? Was will es sein, wie kann es die 60er-Jahre-Formel modernisieren statt … nur rumzumodern? Ganz einfach: Diese Stück TV-Geschichte ist die wohl derzeit beste SF-Serie überhaupt! – Was, Klapo? Das kann doch nicht sein?! Doch nicht besser als „Stargate Universe“ und die jeweils neuesten Kurzstrecken-Marathons von Steven Spielberg und SyFy?
Doch. Denn wer die Nase voll hat von ganzjährigen Aufbauphasen für irgendwelche uralten Spar-Plots, der ist hier goldrichtig! Dieses Format erfüllt endlich, was „Doctor Who“ eigentlich mal sein sollte: Unterschiedliche Welten mit unterschiedlichster Technologie und Menschen, jedes Mal neu, jedes Mal frisch auf den Tisch, an dem das eigene Gehirn hungrig am Kopfende sitzt. Kein Kinderkram mit Happy Ends und Dialogen, die landesweit 10 Millionen Leuten (/Kindern) tunlichst nicht auf Schlipse treten sollen.
„Ich glaube, ich muss noch mal zurückspulen. Wenn man genau beim Hahnenschrei pausiert, erhält man doch bestimmt ein Achievement?“ – Gerade erst aufgestanden und schon einen D… Wachschaden: In der Zukunft herrschen nur noch Tortenwerf-Shows und DSDS-Parodien vor. Und zwar die Zukunft in genauuuu … JETZT!
Okay, einen Wermutstropfen hat die ganze Jubelorgie: Nur gut drei Folgen im Jahr. DREI. FOLGEN. JAHR. Aber „Black Mirror“ ist dafür aufwendig. Ist sichtbar teuer. Ist perfekt besetzt, geschnitten und orchestriert. Allein diese Kamerafahrten und die perfekt gecasteten, aber doch nie zu klischeehaften Darsteller… Ja, diese Serie ist einfach gutes Handwerk – und das komplett in Serie. Wäre BM ein Stuhl, so würde er in Erdogans neuen Regierungspalast stehen und sehr, sehr viel Licht reflektieren. Der Goldstandard.
Schon die erste Folge zeigt an, wohin die Reise geht. Ein Minister, der vor laufender Kamera Sex mit einem Schwein haben soll, um ein Mitglied eines Königshauses aus den Fängen eines Entführers zu befreien? – Was erst mal nach etwas klingt, bei dem ARD und ZDF sich beim Vorbeikommen des anfragenden Serienmachers verleugnen lassen würden („Hier ist keine Sendeanstalt. Was? Das Schild über dem Eingang? Nur zur Deko!“), gelingt den Briten tatsächlich spielerisch. Und wir reden hier immerhin von einer Geschichte, in der ein normaler Typ vor einer quiekenden Sau steht. Zu keinem Zeitpunkt wirkt die Story jedoch alberner als gewollt, zu keinem Moment irgendwas daran (trotz der absurden Idee) peinlich, platt, pseudohaft cool oder schenkelklopfig. Kurz: Til Schweiger hätte hier schon bei Minute 1 verkackt.
Man hat Mitleid mit jeder einzelnen Figur, mit jedem fallenden Schweißtropfen und jeder Minute, in der das Unaussprechliche näher rückt. „Black Mirror“ zeigt keine Schwächen, weder inszenatorisch, noch von den Dialogen oder den Auflösungen her. Keine Kompromisse – aber eben auch keine billigen Schockeffekte des billigen Effekts wegen.
„Guck dir den Zuschauer an! Der checkt ja mal gar nichts!“ – „Den muss ich unbedingt für Facebook teilen. Hol die Machete, Günther!“ – Social Slavework: DEN AUSGANG DIESER GESCHICHTE MÜSST IHR UNBEDINGT SEHEN!! IHR WERDET ÜBERRASCHT SEIN! ÄRZTE HASSEN DIESEN MANN!
Und eines sei schon vorweg genommen: In jeder Folge geht es in irgendeiner Form um Medien und deren Missbrauch. Sei es ein animierter Bär, der für eine Late-Night-Show Politiker verarscht und dann selbst bei den Wahlen antritt(!), während der Comedian dahinter langsam zerbricht, oder aber die Frau, die in einer seltsamen Welt aufwacht, in der sie von zombiehaften Menschen mit Smartphones verfolgt wird. Stets denkt man am Ende: „Fuck! So wie es da erklärt wurde, könnte es tatsächlich kommen!“
Bei fast jeder der 7 Folgen, die ich sah, saß man (ich) am Ende kopfschüttelnd vor der Glotze und fragt sich, warum die Briten EXAKT die Serie aus dem Wunschzentrum meines Gehirns extrahiert haben, die ich mir schon immer wünschte. Ein Rundumschlag aus Gesellschaftskritik, zukünftiger Technologien und oftmals kranken Leuten, die die völlig falschen Entscheidungen treffen. Zwischendurch kommt zwar immer mal wieder Hoffnung auf, aber nur, damit diese wieder relativiert werden kann. Bei den allermeisten Charakteren sollte man eher nicht von einem geruhsamen Lebensabend ausgehen…
Wo nach 40 bis 75 Minuten (die Länge ist sehr variabel, was bei Serien oft auf Qualität hinweist) die Darsteller und deren Universum komplett eingestampft werden können, kann man sich eben alle Freiheiten rausnehmen. Oder auch mal auf eine abschließende Erklärung verzichten, wie denn jetzt alles gekommen ist.
Vor allem die Weihnachtsfolge mit den drei Geschichten, die aber doch zusammenhängen, sorgte für mehr Klöße im Hals, als die Physik des Raumes zulassen dürfte. Was vor allem daran liegt, dass die finalen Strafen für „unsere“ Charaktere oft so hoch ausfallen, dass man bei „Fegefeuer“ eher an einen brennenden Besen denkt als an eine ernsthafte Peinigungs-Konkurrenz.
„Okay, ich gebe zu: Sie sind da drin eingesperrt und müssen meinen Oberkörper unentwegt auf einem Bildschirm betrachten. Aber es könnte schlimmer kommen! Ihre ‚Wohnung‘ könnte einen Keller haben und ich keine Hose anhaben!“ – Willkommen in der Welt von Apple: Hier wird die Alpina-Katze auf der Stelle arbeitslos…
Die zweite Folge der ersten Staffel ist ebenfalls ein Pflichtprogramm für Medieninteressierte: In einer nicht weiter erklärten Zukunft (oder leben wir darin schon längst?!) müssen Menschen nur noch den ganzen Tag stumpfsinnige Castingshows, Deppenformate, Pornofilmchen und Minispielchen konsumieren – und dabei auf einem Heimtrainer Punkte sammeln. Der Raum besteht nur aus Bildschirmen und wer die Augen schließt, wird lautstark ermahnt oder kassiert Strafpunkte, bis ihm vielleicht das „Geld“ ausgeht. – Gerade diese Story besitzt einige sehr schmerzhafte Momente, die emotional über Schwarzen Humor hinausgehen. Denn eigentlich wünscht man den Liebenden nur ganz viel Erfolg in der Bekloppt(er)en-Variante von DSDS.
Auch hier weiß man am Ende nicht, ob man lachen, weinen oder ein mehrseitiges Review schreiben soll/muss. – Pflichtepisode für jeden Zukunftialeser!
Überhaupt fällt auf, dass alle Dinge, die entfernt mit Social Media zu tun haben, extrem gut umgesetzt sind: Die Avatare und Interaktions-Devices könnten genau SO von Facebook, Microsoft und Co. entwickelt worden sein. Die verspielte Designs, freundliche Fressen und gefällige Animationen triggern sogar beim Zuschauer ein gewisses Wohlfühl-Gefühl, da man das alles so ähnlich bereits benutzt. Eben knöpfchenhafte Kindchenschemata mit der gewissen Kurvigkeit. Und keine Sekunde zweifelt man daran, dass die Protagonisten die Geräte wirklich steuern können.
Hier mal ein kurzer Abriss der bisherigen Episoden:
1.01 – Der Wille des Volkes
Kurzfassung: Politiker muss Schwein beschlafen.
Bewertung: Ein Drama, bei dem die Handwerkskunst der Macher gleich Wirkung entfaltet. Die schwierigste und heikelste aller Geschichten ist aus dem Stand auch gleich eine der besten!
1.02 – Das Leben als Spiel
Kurzfassung: Siehe oben. Hier ist Berühmtwerden alles. Der Rest muss Schwachsinns-TV gucken.
Bewertung: Wer mit dem Genre was anfangen kann und hier was auszusetzen hat, dem ist nicht mehr zu helfen…
1.03 – Das transparente Ich:
Kurzfassung: In der Zukunft kann man sich alle Erinnerungen immer wieder ansehen.
Bewertung: Aufgrund des recht punktlosen Endes, welches auch nicht gaaanz überraschend kommt, wohl die schwächste Folge. Zumal die Geschichte auch irgendwie ohne die Technologie funktioniert hätte. Trotzdem ein hochwertiges, intimes Drama.
2.01 – Wiedergänger
Kurzfassung: Digital mit Abbildern von Verstorbenen kommunizieren? Sicherlich eine ganz gute Idee…?
Bewertung: Traurig, deprimierend, eher ruhig. So wollen wir ab jetzt utopisch(?) flennen lernen! – Diese Episode sieht blasser, unglatter und reduzierter aus als die anderen Folgen, was der Thematik durchaus gerecht wird. Nichts für Fenstersprung-Gefährdete!
2.02 – Böse Neue Welt
Kurzfassung: Eine Frau erwacht und wird von Menschen mit Handys gejagt. Doch warum … ?
Bewertung: Was erst mal nach einem modifizierten Zombie-Szenario riecht, hat so ziemlich die krasseste und verstörendste Auflösung aller Folgen.
2.03 – Die Waldo-Kandidatur
Kurzfassung: Ein frecher, blauer CGI-Bär ist so beliebt, dass er bei Wahlen antritt. Der Komiker dahinter wundert sich.
Bewertung: Gut, es ist Politik und ja, es ist eher unwahrscheinlich, dass die Figur zugelassen werden würde, aber: Es werden Fragen gestellt, die auch Merkel derzeit beschäftigen dürften: „Ist unsere Politik so schlecht, dass die Leute lieber Zeichentrickfiguren trauen?“
Weihnachtsfolge – 3.01 – White Christmas
Kurzfassung: Drei Geschichten, aber irgendwie doch nur eine. Grob geht es um die Digitalisierung von Bewusstsein.
Bewertung: Von allen „Strafen“, die in BM verhängt werden, sind dies wohl die härtesten. Hölliger kann selbst die Hölle kaum sein.
Gesamt-Fazit: Wer Doctor Who zu kindisch oder halbgar findet, den britischen Look aber schätzt, findet hier eine neue Heimat! Netflix hat unlängst die Serie gekauft und wird dankenswerterweise noch einmal 12 neue Folgen produzieren, die NOCH verrückter und mutiger sein sollen. Aber eigentlich sind das hier eh mehr „Minifilme“ – der Begriff „Serie“ wird Black Mirror nicht wirklich gerecht…
Jetzt auf Netflix ansehen, Leute! – Ansonsten bitte nie wieder beschweren, dass hier angeblich keine GUTEN Sachen empfohlen werden, pöh!
Danke für den Tip, Klapo! Teilweise ziemlich verstörend, und der Blocker…
Was ich bei „Waldo“ nicht ganz verstanden habe: Was hat die CIA damit zu tun?
Fand die Serie ganz nett, vorallem handwerklich gut. Würde mir allerdings mal wieder kürzere Episoden von nur 20 oder 25 Minuten wünschen und gern auch thematisch abgespaceter, aber genauso so ernst wie diese Serie und nicht so albern wie Dr. Who.
Off-topic, aber da auf der Seite nimmer viel los ist: Wärt ihr an ernsthaften SF-Kurzgeschichten interessiert? (Keine Space Operas)
Da hier seit heute ja wieder der Bär tobt, hat sich die Anfrage vermutlich erledigt?
Aber nur für’s Protokoll: Wer schreibt hier eventuell Geschichten? Hausfrauen? Töchter von Hausfrauen? Schüler? Selbsternannte Selbst-Publishing-Autoren? Deren Töchter?
Und warum habe ich das Gefühl, dass ich Angst hätte, diese Geschichten zu lesen oder gar zu veröffentlichen?
Autor ist eine Tante zweiten Grades, da die es aber mit dem schreiben nicht so hat, bin ich als Ghostwriter eingesprungen.
Und keine Panik, die Geschichten wurden schon durch den Reißwolf einer kritischen Webseite gedreht und sind halbwegs intakt rausgekommen. Was aber nicht heißt dass sie grad in den Himmel gelobt wurden. Tja. Mir war halt langweilig und da kommt man eben auf komische Ideen…
Ach, schick mal ruhig ein. Kann jetzt nicht versprechen, dass wir auf 5 Klapo-Artikel (die ja gerade auch nicht so zahlreich kommen) 10 Kurzgeschichten veröffentlichen, aber angucken kostet nix. Und MINDESTENS eine dürfte wohl drin sein in unserem jährlichen Upload-Kontingent.
Habe Sparki doch 1999 gleich gesagt, dass 3 MB locker ausreichen!
Oki, ich überarbeite (mich) noch ein bisschen und schick mal was ^^