„Der Marsianer – Rettet Mark Wattney“ – Review in rot.
Der Marsianer ist wie alle guten Filme: Schwer zu reviewen. Dieses könnte also leicht das langweiligste Review aller Zeiten werden. Denn wenn sich die Herren Filmemacher nicht mal dazu bereit erklären, uns mit wilden Schnitten in die Bordtoilette zu verwirren, dann muss es eben ein luschig runtergeschriebenes „Joah, alles janz jut!“-Review geben! Das kommt davon, dass ich den letzten „Turtle“-Film nicht bis zum Ende durchgehalten habe. Jetzt müssen wir hier alle „leiden“:
Regie: Ridley Scott
Jahr: 2015
Budget: 109 Mio $
Ausnahmsweise gibt es einen Teil des Fazits schon mal ganz oben, quasi im „höheren Orbit“, damit er leichter von den Fans abgeholt werden kann…
Wie schon angekündigt: Alle Filmaspekte sind so bodenständig, dass man sie weder in den Himmel loben muss, noch die Versäumnisse im Klapo-internen Shitstorm anprangern. Okay, mal gibt es einen flotten Spruch zu viel („Er will Captain Blondbart genannt werden“), mal eine physikalische Erklärung zu viel oder zu wenig. Und manche Momente mit dem Bodenpersonal hätte man kürzen können, andere hingegen um zwei Nebensätze ausbauen. Aber das ist so seeeehr Geschmackssache, dass sogar ICH mit meinen Zukunfts-Ichs darüber diskutieren könnte, da das eine oder andere nach Tagesstimmung bewertet werden kann.
Lediglich vor dem letzten Drittel merkte ich, dass mir etwas die Luft ausging (die typische Filmlösung bei so was ist übrigens: „Plastikplane drüber“), weil die schöne Isolations-Stimmung auf dem Mars allzu oft von crazy Wissenschaftlern auf der Erde durchbrochen wurde. Und wenn ich noch ein paar Szenen mehr gesehen hätte, in der ein Nerd den NASA-Chef nicht erkennt oder auf seiner Unordnung ausrutscht, ich wäre wohl sogar etwas genervt gewesen. So aber kann ich behaupten, dass dies der bessere Film nach „Gravity“ (30% Handlung, 80% Realismus, 10% Humor) ist, trotz oder gerade wegen den leichten Momenten, in denen Matt Damon mit flotten Sprüchen in die Kamera erklärt, wie er Kartoffeln mit Kaka düngt. – Übrigens, nur für’s Protokoll: „Interstellar“ = 45% Handlung, 10% Realismus, 5% Humor / „Der Marsianer“: Alles deutlich über 70.
„Auch, wenn ich mich wie gerädert fühle, so haben große Reifen gemeinhin eines an sich: Sie sind aus Gummi. Und Gummi ist der Hauptbestandteil für ein selbstgeblasenes Latex-Habitat.“ – Noch so’n Spruch, Formelbruch: Mit flapsigen Sprüchen aus der „Wie wir auch Idioten für Moleküle begeistern können“-Versuchsküche werden gleichzeitig Optimismus und Lösungen verbreitet. Also ungefähr so wie Zukunftia, nur mit weniger Sparkiller im Hintergrund.
Zugegeben, sicherlich werden auch hier wieder Hobby-Physiker unter den Zuschauern erklären, dass dies oder jenes unmöglich sei. Oft durchaus zu Unrecht, haben die meisten SF-Gucker doch weniger Ahnung von Naturgesetzen als ein Schwein vom La-Paloma-Pfeifen. Auch beim Marsianer wird also der eine oder andere Couch-Forscher bei diversen Klebeband- und Plastikaktionen einwenden, dass das ja sooo nicht ginge. Da ich aber der König der Hobby-Physiker bin (Mein Reichsgebiet ist die clevere Hochrechn… Hochschätzung), muss ich schon sagen, dass die Rettungsideen alle gaaanz guuut waren. Dass auf dem Mars ja kein Vakuum herrscht und es dort auch nicht superextremst kalt ist, darf man nie vergessen. Da kann man mit einer Plane und etwas Technologie aus der Zukunft(? Wann spielt das denn jetzt?) leichter überleben als z.B. auf dem Mond.
Dass z.B. der Sturm zu Beginn zu stark war (laut Autor) und diverse Annäherungsvektoren zu schwierig sind, das verzeihe ich dem Film großzügig. In einer Romantischen Komödie fallen sich am Ende auch immer alle punktgenau am Flughafen-Gate in die Arme, obwohl ich nicht weiß, wie die sich da finden.
Der ganze Film versprüht eine Leichtigkeit, die ihn nicht so episch wie manch andere Werke macht (die oft daran zerbrechen, dass sie jeden Hirnfurz ernst nehmen, z.B. „Men of Steel“), aber dafür zehnmal so sympathisch. Die Musik peitscht einem im tosenden Staubsturm nicht noch 50 Dezibel zusätzlich um die Ohren, der Sturm ist nicht schon aus 2 Kilometern Entfernung als schlechter CGI-Wirbel zu sehen und wenn die losgerissene Schüssel den Hauptcharakter volle Kanne trifft, ist er schon nach einer Sekunde im Gewusel verschwunden, ohne hollywood-artiges „Nooooooiiiiinnn!“-Geschreie. Ridley Scott hat hier schön reduziert und entschlackt – ungefähr so wie die Marstoilette mit ihrem schönen Fump-Sound. Selbst die peinlichen Charaktere aus seinem „Prometheus“ („Heeey, Baaaby!“) sucht man hier trotz eeentfernt ähnlicher Figurenkonstellation und Weltraumthema vergeblich.
“Cool, heute ist mein Glückstag… äh, -jahr! 1000 Kartoffeln und der einzige Deutsche in der Mannschaft ist abgeflogen!“ – Fleißpflanzerl: Mit genügend Schnitten zum NASA-Hauptquartier kann quasi JEDER Erdäpfel auf dem Mars züchten. Ist aber auch andererseits schön, dass kein Element überstrapaziert wird. Und die 99 % der Leute, die „Interstellar“ logisch fanden, dürften streng genommen nicht mal über den „Marsianer“ meckern, wenn Matt Damon einen Fischteich anlegen würde.
Okay, ich gebe zu, am Ende muss der überkritische Newton-Junkie dann auch mal ein bisschen schlucken: Gefühlt ist das Gedöns um entkernte Raumkapseln, zerschnittene Raumanzüge und „irgendwie“ zusammengefügte Orbitbewegungen sehr unrealistisch, doch irgendwie dann doch wieder nicht. Ungefähr so wie ein explodierendes Auto im Bond-Film: MÖGLICH ist so Benzin-Wumms schließlich schon, aber halt nicht so gehäuft. Ähnliches gilt beim Marsianer-Finale: Man kann sich über Kleinigkeiten aufregen oder einfach zugestehen, dass das alles durchaus als Liebeserklärung an die Wissenschaft durchgeht. Und wie Liebeserklärungen nun mal so sind: Man schießt leicht über das Ziel heraus und klettert mit Rose zwischen den Zähnen am Cape Canaveral hoch. So what?
Der einzige ernsthafte Kritikpunkt am Mars-Eintopf wäre dann auch tatsächlich, dass Mark ein bisschen zu oft ein bisschen zuuu gut druff ist. Jedes Problem wird sofort angegangen – oder die Verzweiflungsphasen eben weggeschnippelt. Nix zu futtern, nix zu trinken, nix Popoputz? – Egal, 500 Tage sind schnell rum, wenn man Solarzellen auf das Marsauto montiert. Wie? Einsamkeit, Langeweile, Leerlauf? Sexuelle Frustration? – Wenn man mindestens vier Mal den schlechten Popmusikgeschmack der abgereisten Kollegin erwähnt, weiß der Zuschauer sofort: „Aha! Trotz mehrjähriger dauer-‚Verallung‘ kann man immer noch happy sein, solange man einen Radio-Bielefeld-Mitschnitt sein Eigen nennt.“
Und dass der Marsaufenthalt ein knallharter Überlebenskampf ist, kommt nach der pflichtschuldig eingeflochtenen „Ups, ich habe mich mit Wasserstoff in die Luft gesprengt“-Szene auch nicht mehr zu Ausdruck.
„Okay, ein Sturm nähert sich! Wer von euch ist so mutig, geht raus in den Kinosaal und erklärt den Herren Kritikern, dass das KEIN Logikfehler ist, weil der Mars eine Atmosphäre hat?“ – „Ich! Ich bin doch nicht redensmüde!“ – Spricht für sich: Der Film geht schnell und los und hört dann lange Zeit nicht auf. Zweieinhalb Stunden waren hier nicht zu lang. Und das trotz starken Rotstichs!
Und ich fand die anderthalb Momente, in denen der Gestrandete in einen Krater glotzt und wirklich mal verloren wirkt, ein bisschen zu wenig. Ist ja schon überraschend, dass man nach einem zweieinhalbstündigen Film über einen modernen Robinso Crusoe keine richtige „Cast Away“-Stimmung hat, sondern gefühlsmäßig eher bei Joss Whedon-Dialogen rumdümpelt. Aber zu viel meckern sollte man auch nicht, denn gute Filme mit ein bisschen „Alles“ sind heute dünn gesät. Hier passte einfach das Gesamtpaket: Action für Papi, lustige NASA-Nasen für Mutti und überschaubare Komplexität für Kinder und Hunde…
Okay, eines gebe ich den Nitpickern aber dann doch noch auf den Weg: Mich persönlich schon fast am meisten, dass manche Berge im Hintergrund doch arg nach irdischen aussehen. Nur echt mit deutlichen sichtbaren Erdschichten (Kalk, Sand, Ton, Dinoskelette…) und ein paar anderen Details, die der Kenner sofort in einer dynamischeren Atmosphäre als der marsianischen verorten würde. Aber auch das: Nitpicking.
Fazit: Kein Film für die Ewigkeit, aber doch ein sehr unterhaltsames Stück Old-School-Überlebensdrama. Ridley Scott versucht nirgends neue Maßstäbe zu setzen, was dem ganzen Film eine entspannte Note gibt. Nicht mal die allgegenwärtige Hans-Zimmer-Nervmusik (= Alle 30 Sekunden einen Schwarzbären auf eine Orgel setzen und ihn zwischendurch brummen lassen) ist hier ansatzweise zu finden. Ja, der Streifen zergeht förmlich auf dem Stirnlappen wie Marswasser auf dem Messgerät. Die immer wieder aufkommenden „Aha!“-Elemente bei der Lösung mittelgroßer Probleme (z.B. „Wasser herstellen in zwei Erklärsätzen“) machen einen guten Anteil des Reizes aus.
Ok, schön zu hören. Ich denke damit ist der nächste Kinobesuch gebucht.
http://lolworthy.com/wp-content/uploads/2015/10/america-has-spent-so-much-money-retrieving-matt-damon.jpg
Ein wenig mehr „Cast away“-Verzweiflung habe ich auch vermißt. Tom Hanks war seinerzeit schon am Ende seiner Nerven, weil er allein auf einer tropischen Insel gestrandet war, die alles bot, um dort zu überleben (außer einen Zahnarzt). Matt Damon war, soweit ich den Film in Erinnerung habe, zu keiner Zeit ernsthaft verzweifelt. Er hatte ja seine Webcam, in die er fröhlich-sarkastische Nachrichten sprechen konnte. Was machte es da schon aus, daß die langfristige Überlebenschance und die Aussicht auf eine Rettungsmission gen Null tendierten? Sicher: Astronauten werden auf solche Eventualitäten psychologisch vorbereitet und nach ihrer psychischen Stabilität ausgewählt. Aber auf eine solche Extremsituation kann man nicht vorbereiten.
Ausnahmsweise war dies ein Film, der mir mit gut zwei Stunden nicht lang genug war (im Gegensatz zu: „A world beyond“…). Gerne hätte man von mir aus eine Stunde mehr echte Mars-Einsamkeit und wissenschaftlich exakte Szenen von den dortigen Lebensumständen zeigen können, zumal die Landschaft großartige Aufnahmen im Stil von „Lawrence von Arabien“ und die Situation eine tiefgründige Charakterstudie ermöglicht hätte. Leider nimmt man sich diese Zeit heute im Film nicht mehr oder allenfalls, um sie mit sinnlosen Actionszenen vollzustopfen.
Der Unterschied zu Cast Away war, dass Tom Hanks WIRKLICH alleine war. Kein Handy, Internet etc, nur ein Volleyball. Da kann man ja nur verrückt werden. Aber selbst auf dem Mars ist man vor Social Media nicht sicher. Die Dauervernetzung ist allübergreifend Das wurde in der Review von Filmanalyse auch schön dargestellt…
https://www.youtube.com/watch?v=PmsCXMqMW14
@Exverlobter
Diesen Typen kannte ich noch gar nicht. Ich wünschte, Klapo würde zukünftig so eloquent und gepflegt auftreten. Allein die Vielfalt seiner Sakkos ist beeindruckend. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob die Analysen ernst gemeint oder Satire sind. Selten so eine gequirlte Kacke gehört.
Hui, endlich habe ich das Gegenstück zu den wibbeligen YouTube-Klickfängern gefunden! Dagegen wirkt eine deutsche Technik-Doku aus den 80ern ja noch richtig locker und unverkrampft: https://youtu.be/TaStmh1hEnc?t=784
In Sachen „Satire oder nicht“ bin ich mir aber auch nicht sicher. Gerade nach dieser hervorragenden Imitation eines Philosophie-Studenten im 3251. Semester: https://www.youtube.com/watch?v=_U5YzC3L2qw&feature=youtu.be&t=466
@Sparki
Wobei ich finde, daß dieser oberflächliche Ausflug in die Populärphilosophie der Tiefgründigkeit von „Spectre“ nicht gerecht wird.
Wenn Du Deine Frisur etwas bändigen würdest, könnte auch der Zukunftia-Video-Podcast eine seriöse Wiederauferstehung erleben. Ich erwarte nächsten Monat jedenfalls eine ähnlich geschliffene Videokritik zu „Das Erwachen der Macht“ von Euch.
„Ich erwarte nächsten Monat jedenfalls eine ähnlich geschliffene Videokritik“
Um es mit den Worten Goethes aus seinem Vierzeiler „Erinnerung“ auszudrücken: „Willst du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah.“. Man möge mir diesen kleinen Bonmot verzeihen, doch angesichts eines Werkes mit einem distanziell als auch innerhalb der Realität derart abgelegenen Handlungsortes konnte ich mich nicht zurückhalten. Aber wie wird unsere Reise dorthin aussehen? „Per aspera ad astra“ kommt uns dabei wohl als Erstes in den Sinn. Durch die Mühsal zu den Sternen, der Kampf eines idealisierten Avatars unserer Selbst (gespielt von John Boyega, „Attack the Block“) gegen eine romantisierte Personifizierung unserer persönlichen Ängste, man möchte fast sagen einer dunklen Macht, namens Kylo Ren (Adam Driver, „Girls“). Doch waraus besteht unser eigenes Aufbäumen gegen diesen Antagonisten unseres eigenen, teils reprimierten, Egos? Durch das investieren in weltliche Dinge wie einer Captain Phasma Actionfigur? Durch einen, eventuell sogar mehrfachen, Kinobesuch? Zur Beantwortung dieser Frage schliesse ich ab mit „Möge die Macht mit euch sein!“ und einem Zitat von Theodor W. Adorno: „Dass die Kategorie der Verdinglichung, die inspiriert war vom Wunschbild ungebrochener subjektiver Unmittelbarkeit, nicht länger jener Schlüsselcharakter gebührt, den apologetisches Denken, froh materialistisches zu absorbieren, übereifrig ihr zuerkennt, wirkt freilich auf alles, was unter dem Begriff metaphysischer Erfahrung geht.“
@Sparki
Sehr schön. Genauso stelle ich mir das vor. Dose Pomade gefällig?
@GG HOfmann
Naja gequirlte Kacke ist vielleicht übertrieben, aber sagen wir mal er gehört zu der Gattung von Kritiker, der zu viel in einen Film hineininterpretiert im Sinne von: „Star Wars handelt vom Kampf der Religionen in einer säkularen Welt“. Oder wie die Kubrickiananer, die Millionen Dinge in „2001“ interpretieren, und dabei vergessen, das Kubrick selber keine Ahnung davon hatte, wovon sein Film überhaupt handelt.
Nichtsdestotrotz höre ich mir seine Analysen gerne an, und seinen Seitenhieb auf die (All)umfassende Digitalisierung fand ich durchaus zutreffend. Allein auf dem Mars, aber immer noch Facebook-Posts aktualisieren. Oh Mann.
Der Typ redet jetzt auch über Star Wars
https://www.youtube.com/watch?v=0YfQO8yA3Us
Mein Highlight in 2015. Einfach nur schön anzusehen der Film. 9/10
Gute Review.
Vergessen: Das wunderschöne Raumschiff, an dem ich mich nicht sattsehen konnte – incl. Schwerkraft durch Rotation in bestimmten Bereichen.
Gab es in einem Spielfilm je ein schöneres?