„Die Insel“ – Das Review ohne Sandstrand
Anno 2005 wurde dieser Film mittel bis schlecht bewertet. Das war Grund genug, um ihn 6 Jahre nicht sehen zu wollen, 4 Jahre lang ein bisschen und mich heute … nach dem ersten halben Dutzend zurück zu sehnen. Dabei hatte „Die Insel“ eine sehr gute, frische Idee, die vermutlich erst vor wenigen Jahrhunderten von irgendeinem anderen Schlaukopf entwickelt worden ist („Alice im Organspenderland“?). Was ich allerdings bis gestern nicht wusste, ist die Tatsache, dass es eigentlich ZWEI Filme aus 2005 mit diesem Titel gibt…
Regie: Michael Bay
Jahr: 2005
Budget: 126 Mio $
Inhalt: In den Laboren einer unterirdischen Stadt fragt sich so mancher Bewohner, warum er eigentlich dort lebt. Bis Ewan Mcgregors Charakter sieht, was mit den Menschen geschieht, die auf die traumhafte „Insel“ geschickt werden…
Besprechung:
Wie schöööön! Ohne Erwartungen begann ich meine Wohngruppenerfahrung in „Hotel Dystopia“ – und wurde nicht enttäuscht! Weiße Flure, ein schönes Betondesign (zwischen einem Baustoff-Loft und hipper Google-Kommune), schöne offene Hallen, Klone in gigantischen Silikonkissen und auch etwas ungeschönte Gewalt. – Die Dialoge nicht zu platt, aber auch nicht zu artsi-fartsi. Kurzum: Der Beginn um Ewan McGregor, der sich fragt, warum er kein Speck essen darf und rund um die Uhr überwacht wird, hat mir SEHR zugesagt. Eine Art „Logan’s Run“ in modern.
Sofort kann man sich einfühlen in das bunte Bunker-Leben, da hier sogar Neelix (bzw. sein Zwillingsbruder Ethan Phillips) erstaunlich sympathisch und wenig nervig rüberkommt. Und obwohl man weiß, dass alles nur Fake ist, hofft man beinahe, unsere Hauptfiguren würden wirklich den Aufenthalt auf der wunderschönen „Insel“ gewinnen, der immer dann verlost wird, wenn Organmangel in Oma Platuschkes Millionärsclub herrscht.
„Hast du schon mal versucht, herauszubekommen, was hinter diesen Mauern ist?“ – „Bist du verrückt? Ich spoilere mich doch nicht!“ – Komasaufen gegen den Leberklau: Ein bisschen Spaß haben dürfen die Insassen hier schon. Nur Sex oder gar Masturbation gibt es hier nicht. Die Betreiber wollen keinen Rückenmarkschwund riskieren…
Mit wenigen gekonnten Federstrichen skizziert der Drehbuchautor das Leben im Schlachthaus, von dem keiner weiß – und das ganz in … weiß. Zwar sind die Wächter und Betreiber eine Spur zuuu böse, abgesehen von dem einen Techniker (Steve Buscemi; ich mag seine Knautschebacken), aber im Grunde ist das alles schon sehr gut inszeniert. Da will ich glatt meinen Organspendeausweis zurück, der von meiner Freundin regelmäßig rituell verbrannt wird. Filmisch vermutete ich hier sogar eine echte Perle im Penner-Panoptikum heutiger Dystopien!
Bösewicht Sean Bean macht seine Sache auf schlichte Weise gut, ebenso wie Scarlett Johansson, die – gemessen an ihrem Aussehen – deutlich zu wenig zu tun bekommt. Und viel zu wenig … Wenig-Klamotten trägt. Die Sache mit der eingedrungenen Motte („Hä? Ist draußen nicht alles tot?“) ist zwar nicht extrem überzeugend (sind vorher noch nie ein paar Insekteneier durch die dünne Decke gerieselt?), aber das ist nur Nitpicking in einem absoluten Kultfilm.
Fazit: Ein tolles Teil! Unbedingt nach der Fluchtsequenz und der Von-oben-Sicht ausschalten! Selten eine Stunde lang so gut unterhalten worden! Michael Bay, sie haben es drauf! – Gebratene Nierchen für sie?
Regie: Michael Bay
Jahr: 2005
Budget: 126 Mio $
Da macht das Wort „Saftsäcke“ oder „Saftnasen“ mal Sinn: Im zweiten Teil des Filmes, wenn es darum geht, 29 Hubschraubern und 83 Jeeps zu entkommen, steht die Sonne immer(!) knapp am Horizont. Somit bekommen unsere Darsteller einen Teint wie Orangensaft, speziell Frau Johansson, die gerne noch einen deutlichen Haut-Weichzeichner dazu bekommt. Modellmaße und Engelsgesicht reichten Mitte der 2000er Jahre vermutlich einfach nicht mehr aus…
Im triefenden Dauerorange gibt es dann also Action, bis die Petersilie (ver)hagelt. Flugs wird aus dem leicht verpeilten Reagenzglas-von-innen-Vollpupser ein Actionstar, der 50 Meter vom Hochhaus fällt oder feindliche Lkws aufs Dach legen kann. Autofahren kann er auch ganz flott, wobei es mir als versöhnliches Ausgleich-Element nicht ausreicht, dass er den Zweck roter Ampeln nicht versteht. Das war dann doch etwas ZU unrealistisch…
„Die Sonne geht auf! Wir haben also 30 Minuten Zeit, bis das Tageslicht wieder weiß wird.“ – „Verdammt, bis dahin müssen wir sie haben! Unsere futuristische Solarenergieanlage funktioniert doch nur bei diesem Farbton!“ – „Nicht, wenn ich zusätzlich DIESEN knallblauen Himmel einspeise!“ – Sandlook für Loser: Bay bewirbt sich hiermit für ein Remake von „Dune – Der Wüstenplanet“.
Spätestens jetzt fällt auf, warum ANDERE Kritiker sich schon seit 15 Jahren viel ausgiebiger über Michael Bay lustig gemacht haben (ich selbst habe versagt?): Diese penetrante Mischung aus Blau- und Orangetönen, die ja laut Hollywood psychologisch besonders toll (und Bankkonto-stimulierend) sein soll, geht einem hier wirklich derartig auf die Ketten, dass man geneigt ist, den Film vorzuspulen, bis keine verpuffenden Hubschrauber mehr auszumachen sind. Trotz Bombast-Geballer und zersprungener Glasscheiben im Wert eines ganzen Siliziumplaneten bleibt alles peinlich an der Oberfläche. Denn Ewan McGregor ist plötzlich nicht mehr greifbar, erlebt nichts mehr; stattdessen hat sich zu 80 % sein Stuntman am Film festgezeckt.
Dabei will ich gar nicht mal sagen, dass das alles ZU VIEL war, denn handwerklich war das alles ganz großes „Cobra 11“ – und beim ersten Avengers-Film hat mich die Dauer-Demontage z.B. auch nicht gestört. Aber irgendwie hat es Mister Bay drauf, einen beim Runterkrachen eines 60-Meter-Ventilators sagen zu lassen: „Mach den Bildschirmschoner leiser, ich kann mich selbst nicht gähnen hören!“
Und dann wird die anfangs noch gute Musik zu einem pathetischen Dauergedröhne. Ich wusste am Ende nicht, ob gleich noch ein 200 Mann starker Engelschor in die Landschaft kracht oder der Messias selbst von der Wolke hopst. Apropos Wolken: Dunst und Rauch mag der Bay-Micha auch sehr gern. Vor allem, wenn er effektvoll – von vorne rechts – einem Hauptdarsteller knapp über die Sonnenbrille segelt. Vielleicht hat Bay sogar selbst das Falsche … geraucht?!
„Gleich haben sie uns! Sie sind nur noch … 15 Minuten Action entfernt!“ – „Ist das etwa jetzt eine offizielle Maßeinheit für Entfernungen?!“ – „Bei Michael Bay ja. Ein Kilometer entspricht etwa 1,56 Minuten Action. Hey, sei froh, dass das hier kein Raumschiff ist und wir keine Lichtjahre haben!“
Als die Handlung wieder ins Labor zurück verlegt wird, es kühler, härter und SF-mäßig durchdachter wird, macht der Film kurzzeitig wieder mehr Spaß. Man merkt, dass es der Regisseur durchaus KANN, jedoch von inneren Dämonen (= die Hempels unterm Sofa?) zu einer seltsamen Form der chaosartigen Selbstparodie getrieben wird. Schade.
Fazit: Das Ende versandet in Dauergeballer nach Schema F(-assungslos, dass das Leute toll finden). Jegliche moralische Betrachtungsweise wird mit plumpen Gottvergleichen, viel zu „coolem“ Klon-Abschlachten und komischen Entscheidungen erstickt. Und dass die Biotech-Firma mal gerade die ganze Stadt sturmreif schießt, um ihr Tun zu vertuschen(!), trägt nicht dazu bei, hierin mehr als ein klonfilmartiges Kasperletheater zu sehen.
Fun-Fact: Der Film recyclet Actionszenen aus Transformers 3:
https://www.youtube.com/watch?v=H7kcqB3thJM
Aber wenn schon „Die Insel“, dann doch lieber die aus dem Jahr 2000:
http://de.wikipedia.org/wiki/Seom_%E2%80%93_Die_Insel
@Raketenwurm: Eher andersrum, Transformers 3 hat gecyclet ;)
Ich fand den Streifen ganz gut. Fängt für Bay recht schick an und hört mit Getöse auf, aber mit besserem. „Bad Boys 2“ war langweiliger, da kam die „Verfolgungsjagd mit Sachen ausweichen, die von wo runterfallen“ nicht so gut rüber.
> @Raketenwurm: Eher andersrum, Transformers 3 hat gecyclet ;)
Ja, deshalb hatte ich ja auch geschrieben „Fun-Fact“ und nicht „Fact“…
Ist das nicht immer so? Hollywood kauft sich intelligente Science-Fiction und stopft das Drehbuch dann bis zum Erbrechen mit Explosionen, Verfolgungsjagden und SFX voll.
Und wenn dann auch noch Micheal Bay am Ruder steht…
Oh Pardon! Mit Explosionen, Verfolgungsjagden, SFX UND Jude Law…