Clearasil für Opa? – oder: Nerdkulturen bald auch im Joghurt!
Beim etwas edleren Schokodealer „Hussel“ gibt es hübsche Gamepads aus Schokolade, junge Mitarbeiterinnen der deutschen Post recken mir bei der Paketannahme ihre „Legend of Zelda“-Shirts samt sämtlichen hylianischen Segenssymbolen entgegen und männliche Jungspunde (um die 35) präsentieren in der Deutschen Bahn einen Super-Mario-Pilz als Tattoo(!) auf dem Oberarm. Wann hat dieser Schwarmsinn eigentlich angefangen? – Und was bedeutet das alles?!
Doch bevor ich unsere Zeugen-Jehova-Mitleser aus dem „Gegen Terminator 2 hat Jesus nichts!“-Lager um die Deutung dieser apokalyptischen Vorboten bitte, hier noch exklusiv ein paar weitere Beispiele:
Bei „Big Band Theory“ darf man den ganzen Tag über Halo, Star Trek, Assassins Creed und Animes lachen, während mir ein Büromöbellieferant ganz nebenbei erzählt, dass seine längste Zockersession um die 26 Stunden gedauert hat. Sein Kollege kommt hingegen nur auf 9.
Laut Statistiken nähert sich das durchschnittliche Zockeralter bedenklich der 40 (was die ca. 30 Add-Ons zu Eisenbahnsimulatoren bei Media Markt erklären würde) und junge Menschen halten den Film „King Kong“ für einem schlechten Abklatsch der affenstarken Videospielemarke „Donkey Kong“ und Chicita für eine Marke von Nintendo.
Außenseiterbrillen, für die wir damals im Kindergarten rektal durch das Fenster des Puppenhauses gestoßen wurden, sind heute der ganz heiße Scheiß. Gerade junge Frauen bekommen nicht genug davon, was ich „Pornp-Brille“ nennen möchte: Schwarz, breit und wenn sie (an)kommt, definiert sie das ganze Gesicht.
Um es – in Ermangelung von Aufzählzeit aller 293 erhältlichen Beispiele – kurz zu machen: What The Fuck ist los with unserer Gesellschaft?! Da haben wir Nerds, Zocker und SF-Freunde uns so lange abgerackert bei dem Versuch, uns durch sexuelle und seifentechnische Enthaltsamkeit von der von uns verachteten Gesellschaft abzugrenzen und dann… spuckt sie uns mit einem frechen „Bazinga!“ eine pixelige Smartbomb ins Gesicht! – Da kann mich auch nicht trösten, dass manche Wenige in meinem Bekanntenkreis noch immer ein beliebiges PC-Spiel (z.B. „Wirtschaftssimulator World-Trading Extra-Hard Edition“) für anspruchsloser und „hohler“ als eine Folge „Streichelzoos in Niedersachsen“ halten…
Denn der Weg ist im Prinzip vorgezeichnet: Die Gesellschaft vergreist nicht, sie… „verspielt“. Ich fühle mich fast wie der freche Punk mit den grünen Klebehaaren, der einen seriös erscheinenden Rentner anpumpen will. Nur, dass jener Opi halt im letzten Moment seinen mausgrauen Hut lupft, darunter einen blauen Irokesen enthüllt und ruft: „Verpiss dich von meinem Platz, du Flitzpiepe!“ – Plötzlich wird es eng, muffig und allgemein Love-Parade-Verdächtig in der vermeintlichen Außenseitergasse.
Komisch nur, dass mir trotz Vernerdisierung der Gesellschaft weder die Games noch die Filme besser gefallen als daaaamals, als man bei RTL noch Videospieler mit Mülltonnendeo olfaktorisch gesellschaftstauglich machen wollte. – Okay, das war 2011 oder 2012, aber nach DEM Shitstorm damals wohl auch so ziemlich das letzte Mal. Aber wie gesagt: Die Nerd-Produkte sind durch die Massentauglichkeit nicht sooo viel besser geworden. „Avatar“ finde ich mit jedem Jahr irgendwie behämmerter, wohingegen den letzten beiden „Star Trek“-Filmen diese Ehre mangels steigerbarer Behämmertheit nicht zuteil wird. Doch gerade an Star Trek kann man es sehr gut sehen: Was bis 2001 herum (Wendepunkt: „Nemesis“) ein eher dröges Event für eingefleischte Nerds mit angeschlossener Hähnchenbraterei war, war 2013 ein girlfriendkompatibles Happening, bei dem der Actionfilm von der Komödie und die Komödie von der SF selbst mit einem Brecheisen (= ein Eisen, mit dessen Hilfe ich mich leichter übergeben kann) nicht mehr zu trennen war.
Wer bei Amazon bei „Küche und Haushalt“ das Wort „Nerd“ eingibt, bekommt 600 Suchtreffer mit allerlei krankem Kram, für den man im Ikea der 90er Jahre hinter (Achtung!) schwedische Gardinen gekommen wäre. Wirklich hübsch ist der Kram nur selten, jedoch hat er Charakter. – Hey, so wie Du, Kollege Sparkiller!
Sogar die Öffentlich-Rechtlichen verspielen meine Sympathien immer weiter: Vorbei scheinen erst einmal die amüsanten B-Movie… äh… C-Rechercheaufwand-Zeiten, in denen dank „Frontal 21“ festgelegt wurde, dass bei „Grand Theft Auto“ Kannibalen vergewaltigt und bei „Counterstrike“ Babys eingestampft werden sollen. Oder so ähnlich. – Nein, heute muss ich mir von der Kultur(!)sendung „Pixelmacher“ bescheinigen lassen, dass Ubisoft interessante Spiele macht und das Thema „Obstdarstellung in Videospielen“ seit 1978 ein eher großes ist.
Da fühle ich mich irgendwie unter Druck gesetzt, mir beim Spielen ein Fremdwörterlexikon („Küchenpsychologie – Kunstgelaber / Kunstgelaber – Küchenpsychologie“) an das Pad zu dübeln. Oder beim 3. Level von „Wolfenstein“ nicht aufzugeben, da ich sonst als Kunstbanause dastehen könnte. Vorbei sind die Zeiten, in denen ich noch gesellschaftsabschätzig mit Super Mario durch die Welten hüpfen konnte. Heute beschäftigen sich nämlich auch SPIEGEL-Redakteure damit, ob der Sprung von 16 auf 265 Farben die Präsentation des Klempners eher „erdig im Abgang“ oder „fluffig im Auftrieb“ werden ließ. Worthülsen, die man vor 5-10 Jahren nur aus den verquarzten Kulturseiten-Analysen der neuesten Symphonie von Gregori Geigegowski kannte.
DAS muss ich erst mal verdauen, dass meinen Forderungen nach Würdigung von Nerdthemen ganze 50 Jahre VOR meinen kühnsten Prognosen entsprochen wurde. Es gibt Stadtteile, da kann man nicht mehr über die Straße gehen, ohne von Rentnern nach der eigenen Meinung zum neuesten „Castlevania“ befragt zu werden. – Okay, ich übertreibe leicht. Aber auch nur, weil ich kürzlich Seifen in Game-Boy-Form und Rollenspielaufkleber auf Autoheckscheiben gesehen habe. Das klingt wenig, aber vor kurzem musste man für so viel Videospiel“kultur“ noch mit dem Kopf im Zeitschriftenregal übernachten, irgendwo zwischen der „Chip“ und den Kinomagazinen.
Man mag kein Fan von der Serie „Big Bang Theory“ sein, aber ohne dieses Kleinod müssten wir uns noch heute unsere Star-Trek-DVDs an der Kasse zwischen Kondompackungen und Hämorridensalbe auf das Band schmuggeln, um nicht negativ aufzufallen. Und daran, wie viele halbrassistische Inderwitze ICH nicht mehr machen muss, erfreue ich mich immer wieder!
Seit dem 2-monatigen Siegeszug der Piratenpartei, die sich danach in digitalen Abstimmungen zur Sinnhaftigkeit digitaler Abstimmungen verzettelte, kommt es mir sogar so vor, als wären die letzten Amokläufe gar nicht mehr aufgrund der „Blut-Edition“ von Tetris passiert. Ein Medienwandel, der mich verblüfft und verunsichert.
Auch gesellschaftlich ist mir unklar, wie man sich verhalten soll: Als Kind wusste ich noch, dass Game-Boy-Spielen auf der Beerdigung von Opa Heinrich eher schlecht ankommt, wobei ich heute das Gefühl habe, dass man ruhig bei solchen Gelegenheiten „Candy Crush“ spielen kann, solange niemand anderes auf das Smartphone blickt und man ein ernstes Gesicht macht („Brummel… Wichtige Mail… Murmel… – JUCHUUU! Drei Reihen!“).
Ich fordere also hiermit… öh… eigentlich nichts. Neee, im Ernst, ich bin diesbezüglich ziemlich leer. In Zeiten, in denen auf 90% aller Laptops in der Deutschen Bahn entweder „Doctor Who“ oder der Bruder im Geiste „Sherlock“ läuft, bin ich als Vorreiter für eine Nerdkultur, die durch Ironie und Frauenverachtung vorwärts getragen wird, so ziemlich am Ende. Vorbei die Zeiten, in denen ich mit Seven-of-Nine-Artikeln die Wut postfeministischer Voyager-Guckerinnen auf mich ziehen konnte. Heute lassen die 16- bis 26-Jährigen einfach SELBER die Brüste raushängen, bezeichnen das als „Cosplay“ und murmeln was von „Anime“ und „Lila Lulleberger, Tochter der Mondklinge“.
Ab einem gewissen Alter macht es einfach wieder Sinn, sich mit Energiebalken und zusätzlichen Leben zu beschäftigen! – Was heute als Bild noch lustig ist, wird in ein paar Jahren normal werden: Wenn ICH z.B. einfach noch 30… na ja… 20… okay, 5 Jahre älter werde und meine Zeldamütze dabei aufbehalte.
Die Welt der Nerds ist im Wandel, und niemandem scheint dies Angst zu machen. Hm. Da bleibt mir wohl nur, mir schulterzuckend den 1,50 Meter hohen Stapel der „Retro Games“-Hefte im Supermarkt zu kaufen (12 Euro pro Heft, 12 Zentimeter pro Ausgabe!), um diese in schlechteren Nerdzeiten wieder gewinnbringend zu verhökern.
Und jetzt stört mich nicht länger, ich muss Oma Trude helfen, ihren alten „Mass Effect 2“-Spielstand auf den dritten Teil zu übertragen…
In Wirklichkeit ist es zum Jammern. Ich kuck deshalb auch schon gar keine Serien mehr. Das ist mir nämlich zu blöd, wenn so ein Sport-Honk eine Meinung zur letzten Sopranos-Staffel hat.
Werd mir demnächst bei Peek & Cloppenburg nen Anzug rauslassen, um mich wieder abzugrenzen. Danach hol ich mir den Ranickischen Literaturkanon und meld mein Internet ab.
Diesbezüglich gibt es von Moviebob auch ein interessantes Video.
http://www.youtube.com/watch?v=f0mDvGN8-0A