„Timecrimes“ – Geheimtipp-Review
Wie man RICHTIGE Geheimtipps aus dem SF-Genre gibt, möchte ich heute mal (zwecks Erzielung eines Nachahmungseffekts Eurerseits) ausführlich darlegen. In diesem spa(rta)nischen Werk aus dem Jahre 2008 geht es… um einen Mann. So echt mit Schniepelwutz und Brusthaaren. – Na, schon neugierig geworden? Es kommt sogar noch knüppeldicker: Dieser Typ stolpert in eine Zeitreisegeschichte, die sich zum absoluten Alptraum entwickelt. Nämlich für einen Reviewer, der normalerweise am meisten Spaß an derben Verrissen hat…
Regie: Nacho Vigalondo
Jahr: 2008
Budget: 2,5 Mio $
Bewertung:
Es klingt wie Kollege Sparkillers Arbeitstag in der Zukunftia-Redaktion (Auftrag: „Mal wieder einen längeren Artikel schreiben“): Eben noch auf einem Liegestuhl sitzend, erhebt sich ein etwas siffig aussehender Ältling, um mit einem Fernglas ein nacktes Mädchen zu verfolgen, welches sich hundert Meter weiter entkleidet hat. Die Konsequenzen sind jedoch WENIGER schlimm als ein verpasstes Premium-Sparkiller-Review: Blutend, weiterhin unattraktiv und verwirrt endet man in einer Zeitmaschine und muss wenig später mit ansehen, wie das 6 Stunden frühere ICH mit der eigenen Frau rumschäkert. Und mit der jungen. Und mit einem verwirrten Wissenschaftler, der gar nicht mehr weiß, wo ihm der Zeitstrahl steht. Und allerlei zu Klump gefahrene Autos.
Doch was tut man, wenn einem der Wissenschaftler einen flotten Dreier ausdrücklich verbietet, sondern auf von Kirk längst widerlegte Zeitreisegefahren hinweist („Nicht einmischen, sonst wird der Geschichtsbuchverlag böse!“)? Ganz klar: Man dreht am Rad und macht alles nur noch schlimmer!
„Helfen sie mir, gute Frau! Ich habe mitten im Wald das Rauchen aufgegeben und habe zur Ablenkung das Ritzen angefangen. Im Gesicht!“ – Hier muss einer von der Stütze leben: Der ganze Film ist eine einzige Werbung dafür, immer ein Handy in den Wald mitzunehmen. Und einen Quantenphysiker, einen großen Flipchartblock und ein Alternativuniversum zum Entrinnen aus dem ganzen Chaos…
Das Hauptthema ist hier für mich allerdings nicht der intelligenteste Umgang mit einer Zeitreise seit „Primer“ (die 2,5 Leute, die diesen Film VERSTANDEN haben, nennen ihn zumindest sehr clever), sondern die Frage, was im Leben – oder der Realität an sich – determiniert ist. Ist es z.B. vorherbestimmt, dass ich genau diesen Satz hier schreibe und wenn nein: Sollte ich es trotzdem tun, um Euch mächtig zu beeindrucken? Ausnahmsweise möchte ich den Film nicht zu sehr spoilern, denn der moralische Verfall des Hauptdarstellers sowie das schrittweise Missachten sämtlicher 10 Gebote (plus ein paar neue) sind wunderbar eindringlich-reduziert dargestellt. Man könnte hierbei sagen, dass der „Held“ nicht anders handeln KONNTE, sondern nur das wiederholen musste, was eh schon in der Zeitlinie festgetackert war. Er schaut sich das „Böse“ quasi erzwungenermaßen von sich selbst ab, was jeden Strafprozessrichter mit einem Defizit an SF-Film-Erfahrung in den Freitod treiben dürfte.
Wäre das Ganze trotzdem anders ausgegangen, wenn der Charakter ein positiverer gewesen wäre, eine Art Klapowski-ähnliches Engelswesen? Hätte Héctor dann das junge Mädel zu einem Eis eingeladen, statt Dinge zu tun, bei denen Alice Schwarzer Schnappatmung an allen Körperöffnungen bekommt? Was war Hass, was „nur“ von einer anderen Zeitlinie imitiert und – vielleicht die wichtigste filmmoralische Frage – was einfach nur dem Spannungsaufbau des Drehbuchschreibers zuzuschreiben?
Will man sich zu Beginn der Handlung noch mit DREI rechten Händen vor die Stirn schlagen (die der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft), weil der Protagonist JEDEN Hinweis des Forschers missachtet und generell so clever wirkt wie mein durchschnittlicher Telefonanrufsbetrüger, so ändert sich dies doch recht schnell: Ab dem zweiten Zeitsprung wirkt der Mann zu allem fähig und man fragt sich nur noch, WIE es zum schlimmstmöglichen(?) Ende kommen kann, nicht mehr OB. Und wie viel Unheil in den letzten 15 Minuten des Filmes noch geschehen kann, bevor der Abspann uns gnädig vor einer weiteren Zuspitzung (oder einer WEITEREN Zeitreise) bewahrt.
„Komm raus, du Hund! Ich will meine ‚Zurück in die Zukunft’-DVDs wiederhaben, die ich Dir vor fünf Zeitschleifen geliehen habe!“ – Rosamunde Pinscher: Dieser Kerl in den Klamotten der ersten kik-Modemesse greift alles an, was nicht bei Drei in der Zeitmaschine ist. Wer der Mann ist, ist für Genrekenner natürlich nicht sooo schwer zu erraten. Richtig: Die vorher nicht erwähnte Großtante des Hauptdarstellers nach einem Haarfärbeunfall!
Ebenfalls sehr (be)merkenswert ist der Mann mit der rosa Gruselmaske; solche Bösewichte benötigen wir wie Darth Vader seinen Luftschlauch zum Atmen! Eben einfach, aber effektiv. Es muss eben nicht immer Freddy Krüger mit einem neuen Datenschutzskandal in seinen Klauen sein, um mal etwas GANZ Plakativ-Böses zu nennen. Und wie uns der Hauptdarsteller den „Stirb langsam“ mimt und immer mehr Macken und Blutergüsse zum Filmende zu schleppen hat, DAS macht einen schlanken (wegen Blutmangels) Fuß! Nett auch die kleinen, teilweise im Bild versteckten Hinweise auf zukünftige Geschehnisse. So eine Art vierdimensionales Wimmelbild mit der eingebauten Befriedigung, immer wieder mal etwas aufgelöst zu bekommen (einfach mal probieren, liebe „LOST“-Autoren!)…
Überhaupt ist der ganze Film eher düster und wirkt schon alleine von der Qualität des Filmmaterials her (ich sah die Blu Ray-Version) körniger als eine Knabberstange mit Vogelfutter. Doch das bleibt absolut im Rahmen, erhält man dafür doch „normale“ Kameraschwenks, wo bei Hollywoodwerken immer mehr die Optik „schnell abstürzende Spähdrone“ vorherrscht. Auch der überhaupt nicht nach Schleimi-Schauspieler aussehende Geheimratseckige macht das Geschehen noch mal deutlich echter. Einen so „alt“ aussehenden SF-Hauptdarsteller hat man zuletzt in den 60ern gesehen. Also mehr so der Buchhalter-Typ aus „The Quiet Earth“ als z.B. Justin Timberlake und Will-„Mein Sohn muss den Altersdurchschnitt im Film runterbringen“-Smith.
Die Musik gebärdet sich ebenfalls reduziert, aber hochatmosphärisch, während man die CGI-Effekte an den 10 Fingern eines armlosen Sägewerkarbeiters abzählen kann. Dass die Zeitmaschine nur ein nasser Bottich ist, der auch einer Brauereidoku gut zu Gesicht stehen würde, gefiel mir ebenfalls. Ich traue mich gar nicht fragen, was das alles NICHT gekostet hat, um nicht danach empört vermuten zu müssen, dass deutsche Filmemacher ihre niedrigen Budgets nur als Ausrede für billige Komödien und handlungsarme Depri-Streifen benutzen.
„Gehen sie dort hinein, ich mache dann den Deckel fest!“ – „Aber nicht, dass das eine Zeitmaschine ist, mein Herr.“ – „Nicht doch, das ist nur eine Schrottpresse für radioaktiven Abfall.“ – „Ach so, naaa dann…“ – Damals, vor 6 Stunden, da war die Welt noch in Ordnung: Der Kaffee war noch nicht abgestanden und der Geheimdienst der USA hat 8.290.203 unserer Mails weniger ausgespäht. Kein Wunder, dass dieser Film sich der interessanten Art der Mini-Zeitreise bedient!
Klar, nichts von den Zeitreiseideen ist völlig neu, was man von einem solch ausgelutschten Thema wie „Ändere A, um B zu verhindern“ auch nicht erwarten sollte. Nach „Zurück in die Zukunft“ und ziemlich genau der 14. Star-Trek-Serienstaffel war der Duden mit Dingen, die man verhindern könnte (von A wie „Aas“ bis Z wie „Zyklopenangriff“), ja auch ziemlich leergelutscht. Aber hier macht eben das Zusammenspiel alle Elemente die Kammermusik!
Fazit: Klar, das Finale hätte bombastischer sein können und die doch recht unterkühlten Emotionen etwas sommerlicher. Aber man kann auch im Wahljahr nicht ALLES bekommen und viele aktuelle SF-Filme gaben mir ja nicht mal die Hälfte von allem. Gemessen an dem Produktionsaufwand ist dem spanischen Team hier ein Geheimtipp gelungen, dessen Vorwort „Geheim-“ ich hiermit gerne überflüssig machen würde.
Und es muss ja in einem Zeitreisefilm nicht immer gleich um die Rettung der Menschheit gehen, oder? ODER? – Nein, Barack Obama, Dich habe ich nicht gefragt!
Gerade der Wimmelbild-Vergleich trifft es sehr schön. Habe den Film gerade zum zweiten Mal gesehen und kann das nur bestätigen. Was mir besonders gut (und zugleich gar nicht) gefallen hat war das Ende. Der Drecksack hat tatsächlich die arme Frau geopfert! Mutig, das hätten sich die Amis nicht getraut!
Tja, die Franzosen machen gute Filme, die Engländer, halb Asien, nun auch die Spanier, nur wir Deutschen bekommen sowas einfach nicht gebacken. Ein Armutszeugnis.