„Cloud Atlas“ – Das Review aus den Wolken
Mehrere, meist deprimierende Geschichten, parallel erzählt in einem Medium? Nein, die Rede ist nicht von einer Tageszeitung, sondern von „Cloud Atlas“, dem Film für Leute, die schon so viele Daten in Computer-Clouds haben, dass sie dafür einen Atlas brauchen, ahahaharr-haha.
Äh. Wo war ich? Ah, ja: Bei der großen Verleihung der „Goldenen Gummimaske“ an Tom Hanks, Halle Berry und vielerlei Hollywood-Schauspieler mehr.
Regie: 1x Tom Tykwer, 2x Wachowski
Jahr: 2012
Budget: 100 Mio Dollar
Was auch schon die schwere Frage aufwirft, was dieser Film eigentlich ist, will und einspielt (in den USA bislang eher wenig). Eine Frage, die man mit „Roman“, „2004“ und „Autor David Mitchell“ immerhin schon mal teilweise beantworten kann. Für alles weitere lest jetzt unsere Kurzzusammenfassung aller (*4 Finger abhack und Hände hochhalt*)
1.) „Kombiniere: Eine Komposition!“: Wir sehen einen schwulen Musiker, der einem uralten Heteromusiker bei der Komposition von allerlei Klimpermusik hilft. Und das nur, um selber die Inspiration für ein Werk namens „Cloud Atlas“ zu bekommen. Ein schwieriges Unterfangen, aber irgendwo muss der Titel des Filmes ja herkommen, oder? – Prädikat des Ganzen: Schwules Thema, gerade noch bisexuell genug verpackt.
2.) Gerontenträume: Und dann war da noch der alte Verleger, der durch unglückliche Umstände in einem Altenheim landet und sich dort – durch seine Doofmann-Brillengläser glotzend – für eine leichte Sommerkomödie empfiehlt. Denn den Rest der Handlung versucht der tattrige Tatendrängler mit einigen Mitinsassen wieder zu fliehen. – Prädikat: Leicht unpassend und im Gesamtzusammenhang fast schon zu flapsig, wenn doofe Alte nur noch wissen, wo oben und unten ist, wenn sie ihr Gebiss vor sich loslassen. Aber etwas Seichtes MUSS im Cloud Atlas halt auch verzeichnet sein. Jedenfalls sieht das das „Cloud-Atlas“-Gesetzesbuch so vor, in Paragraph 5.
„Hey, den Zweiten von oben links kenne ich! Das ist Captain Picard!“ – Tom Hanks spielt hier verschiedene Figuren, die ihren eigenen Zehnlingsbrüdern enorm ähnlich sehen. Teilweise sorgt die ständige Neubesetzung aller Rollen mit den selben Schauspielern für viel Spaß, auf der anderen Seite fragt man sich aber auch manchmal: „Warum fühle ich mich beim Ansehen so verwirrt wie Forrest Gump?“
3.) Kon-Fusioniert: Etwas ernster ist die Geschichte um einen umgebrachten Wissenschaftler (einer der Nebenfiguren aus der obigen Geschichte namens „Kombiniere…“), der der Menschheit die Fusionsenergie bringen wollte. Doch da die Ölkonzerne bereits hinter den Kulissen fusioniert haben, schicken diese einen Killer in Person des Schauspielers Hugo Weaving (S/M-Krankenschwester aus „Cloud Atlas“) hinter den Alten und einer hinzugezogenen Reporterin her. – Prädikat: Ölfirma-Bashing as usual. Eine Geschichte wie aus einem dieser John-Grisham-Gähnromane. Was ich aus Unkenntnisgründen aber nur vermuten kann. Blöderweise habe ich in dieser Zeitlinie anfangs sogar die Auflösung des ganzen Films vermutet…
4.) Arsen und Spitzenhäubchen: Auch zu sehen ist ein junger Anwalt, der auf einer Schiffsreise diverse Sklavensiedlungen besucht (hier werden Betriebsregeln noch ohne den Betriebsrat „durchgepeitscht“) und nach einem Ohnmachtsanfall erst mal von seinem Arzt vergiftet wird. Kann passieren, tut es aber nicht. Warum? Überraschung! – Prädikat: Ausreichend unterhaltsam und garantiert kein „Kassengift“. Der Twist am Ende ist sogar einer der Stärksten in dieser uuuunendlich langen Kurzgeschichtenkakophonie.
5.) Trinkgeld unerwünscht: Besondere Aufmerksamkeit von SF-Fans verdient selbstnatürlich die Geschichte um die geklonten Servicekräfte der Zukunft, die nur arbeiten, (bei?)schlafen und sich ab und zu fragen, wie die freien „Konsumenten“ wohl so leben. Bis eine der Damen entkommt bzw. von einem Rebellen entkommen WIRD und für eine bessere Zukunft kämpft. Prädikat: Schöne Apple-, ähm… Anmerkungen zur Konsumgesellschaft und im Geiste irgendwo zwischen dem Buch „Schöne neue Welt“ und „Eigentlich schon mal darüber nachgedacht, die FDP-Zentrale zu sprengen?“… – Davon hätte man gerne mehr gesehen, auch wegen des erstmaligen Einsatzes von kurzzeitigen Spezialeffekten UND Action. Diese Filmemacher sind echt crazy drauf.
„Brücke? Gefährlich? UNTER uns ist immerhin Berlin-Neukölln, junge Lady! Sie möchten bestimmt ungern mit MUTIERTEN Gangs zu tun haben, oder?“ – Brückentechnologie: Über den Wolken muss nicht nur die Freiheit grenzenlos sein, sondern überhaupt erst errungen werden. Zum Glück hilft das Unterdrückerregime mit ein paar Lasersalven, den Wert dieses Konzepts mit jeder Sekunde exponentiell zu steigern.
6.) „Michse haben nixe Ahnung?!“: Ebenfalls SF-ig ist die Story, die sich um eine postapokalyptische Welt dreht, in der nicht nur die Sprechweise verändert geworden sein tut, sondern auch der Glaube und die Lebensweise der meisten Menschen. Der bessere Höhlenmensch Tom Hanks trifft hier auf Halle Barry (von der Fraktion der Hochtechnisierten), welche krackselnderweise die Technologie der „Alten“ erforschen möchte. – Prädikat: Solide „Alles kaputt, Hoffnung besteht aber noch“-Story mit „Wir funken unsere Brüder im All an“-Notausgang. Berry im weißen Strampelanzug macht eine ebenso gute Figur wie Hugo Weaving (bekannt als Killer im Film „Cloud Atlas“) im seltsamen Geisterbahnkostüm, nur eben mit spiegelverkehrten Einträgen auf der Erotikskala…
ALl diese Geschichten haben schooooon miteinander zu tun, aber wenn man anfangs noch dachte, dass das komponierte Klavierstück eventuell die Welt zerstören wird oder der veraltenheimte Verleger mittels Haftcreme den Fusionsreaktor erfindet, der liegt falsch: Es sind vielmehr Bücher, Schallplatten, Westenknöpfe(!) und Schwippschwager, die von einer Handlung in die nächste schwappen. Nicht, weil sie es müssten, sondern weil’s einfach nicht schadet, wenn der Zuschauer ab und zu mit ausgestrecktem Finger auf den Bildschirm zeigt und juchzend irgendwelchen Flohmarktkram aus der anderen Zeitebene wiederfindet.
Unwillkürlich versucht man natürlich ständig, jeden Dödel mit den anderen Dödeln zu verbinden, was manchmal Sinn macht, oftmals aber nur ungenutzte Hirnkapazität nutzt. Was auch schon wieder clever ist, denn so grübelt jeder Zuschauer exakt so viel, wie er kann und will. Langeweile ist somit größtenteils nicht möglich, es sei denn, man sieht die Verbindungsfäden als billiges Stilmittel an und blättert dabei zynisch in seinem 1000-seitigen „Herr der Ringe“-Erklärband („Daaa! So müssen durchdachte Universen aussehen, Mutti!“). Da die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass ein Fusionskraftwerksunglück die Menschheit dezimiert hat und der Aufstand der Servicesklaven keinen Weltkrieg verursachte (wobei, wie viele Mitarbeiter haben doch gleich Lidl und Kik?), muss man sich darauf einlassen, dass das einzige übergreifende Thema aber vielleicht doch nur… die LIEBE ist. Ja, dieses Ding, was einem meist für das andere Geschlecht überkommt, wenn der letzte Orgasmus mindestens 12 Stunden her ist.
„Nun, alles fing damit an, dass ich als junger Bankberater ein oder zwei ungedeckte Hedgefonds verscherbeln sollte…“ – Böse im Sinne der Modeindustrie: In der postapokalyptischen Welt streunt dieser imaginäre Geselle (nicht) herum. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn dieser Typ ist bei einem (eingebildeten) Psycvho-Arzt in Behandlung, der ihm Tabletten dagegen gibt, ständig reale Landschaften und Menschen zu sehen…
In jeder Geschichte geht es um die Beziehung zweier (oder mehr) Menschen: Mal betrügen sie sich, mal werden kulturelle Unterschiede überwunden, die Gesellschaft verbessert oder einfach nur Selbstmord begangen und die Altenheimverwaltung verarscht. Einen Roten Faden gibt es dabei irgendwie schon, denn wie schon die fetten Ladies hinter dem Astro-TV-Tresen sehr richtig vermuteten, werden wir ständig wiedergeboren und jedes Leben ist mit jedem anderen verknüpft. Und mit jedem Schritt gestalten wir die Zukunft. Okay, letzteres – was ja eigentlich nur das Prinzip von Ursache und Wirkung ist – dürfte jedem schon klar gewesen sein, der als Kleinkind mal vom Wickeltisch gefallen ist. Aber egal, das halbesoterische Band der weltverbesserischen Re-Inkarnenten fasert und ächzt, aber es hält die Geschichten ausreichend zusammen. Vermutlich darf man diese Sammlung an bunten Plotblümchen auch nicht als Gesamtkunstwerk betrachten, sondern als Kurzgeschichteneintopf. Einer, der dem einzelnen Zuschauer schmeichelt, da man „sooo etwas vor 20 Jahren noch nicht im Kino gesehen hätte, weil es den Zuschauer überfordert hätte.“
Und das sage ich sogar in dem Bewusstsein, dass ich vermutlich 64,7% der Anspielungen übersehen habe, was aber an der obigen Bewertung nichts ändern dürfte. Da bin ich ja beratungs- und informationsresistent. Knackpunkt im eigenen Bewertungsuniversum dürfte aber vor allem sein, dass man eigentlich am liebsten die Zukunft von Neu-Korea gesehen hätte: Glitzernde Hochhäuser im Stile von Fritz Lang („Metropolis“) in cool, Technikgadgets im Minutentakt (Will auch beim Rumgehen Wassereffekte auf meinem Wohnzimmerboden!), Verfolgungsjagden im Stile von „James Tron“ (kein Schreibfehler) und eine herbe Rebellion mit Todesopfern, ausgelöst von einer auserwählten Zarthautträgerin, die einem einen pseudotheologischen Knopf an die Backe labert! Herrrrlich! Da ist man fast enttäuscht, wenn man danach wieder die ungleichen Musiknotenschubser im Herrenhaus verfolgen muss…
Aber der inoffizielle Untertitel des Films („everything is connected“) ist hier nun mal Programm(kino)… Und wenn mir seit Jahren erklärt wird, warum mein achtlos weggeworfenes Handy mit dem Leiden eines afrikanischen Stammes zu tun hat, kann mich mir die volle Konnektivität auch genau so gut als halben SF-Film ansehen. Und wer weiß? Vielleicht wird Zukunftia einst eine Revolution auslösen? Oder der Server mit unseren Dateien einfach einem mutierten Zombie auf den Schädel fallen? (*Drehbuch zu dem Film „Klap Atlas“ schreib*)
„Verdammt, irgendwo muss doch dieser Lieferschein für die CD-Sammlung ‚120 Spieluhr-Melodien zum Sich-Selbst-Aufziehen‘ geblieben sein?!“ – Not(en)geschichte: Dieser junge Held möchte sich mit einer perfekten Melodie unsterblich machen. Was exakt so lange nicht gelingt, BIS er als Produktmanager bei Jamba anfängt und Klingelton-Abos mit unendlicher Laufzeit verkauft.
Interessantes Detail: 6 Deutsche Filmförderinstitutionen haben insgesamt 17 Millionen Euro dazu gelegt. Plus: Der Film wurde überwiegend in Babelsberg gedreht. – Meist kein gutes Zeichen für die Qualität, in diesem Falle aber nicht gar so schlimm, wie es uns unsere Erfahrungen mit anderen germanischen Klemmbratzen-Intelligenziafilmen beigebracht haben.
Fazit: Unterhaltsamer als „The Dark Knight Returns“, actionreicher als „Keinohrhasen“, tiefgründiger als „Ballermann 6“, moralischer als „Skyfall“ und klassischere SF als „Star Trek 11“. Ein Film, über den man schon nach der Hälfte mehr gegrübelt und sinniert hat als nach so manchem Blockbuster in den Tagen danach. Und das trotz eines gewissen Mangels an einer zusammenhängenden Story (wie bei den Blockbustern auch, nur dass es bei „Cloud“ GEWOLLT ist). Dass er schon alleine dadurch hervorsticht und positiv wirkt, das sagt entweder viel über das Talent der Wachowskis aus („Matrix“, „V wie Vendetta“), oder aber über den derzeitigen Stand des Genrekinos…
Laaangweilig!
Kein Wunder, dass es dazu keine Kommentare gibt. Macht lieber ein Hobbit-Review und zwar in HFR, also das Review.
Nicht langweilig! Einer der interessantesten Filme, die dieses Jahr im Kino liefen. Nach Inception endlich wieder ein Film, über den ich in den nächsten drei Tagen nachdachte und auf den ich mich freue, wenn es ihn denn auch im Heimkino gibt.
Denn sind wir mal ehrlich: Welcher Film hat hat einen in diesem Jahr nochmal im Nachhinein beschäftigt? Mir fällt spontan jetzt keiner ein. (Battleship: Cool, Batman: Cool, Avengeners: Cool, 96 Hours 2: Cool, Schutzengel: Cool. Nachhaltigkeitsfaktor: 0)
Buchverfilmungen sollte man sowieso gesondert bewerten ;) Als eigenständiger Film, ist Cloud Atlas auf jeden Fall außergewöhnlich, als Buchverfilmung ziemlich genial. Das Buch galt zu recht als extrem schwer verfilmbar und wenn man bedenkt wie oft Hollywood eine literalische Vorlage verhunzt hat… ;)
Ein völlig überschätzter Film. Die einzelnen Episoden wissen teilweise durchaus zu gefallen. Leider hat man es versäumt, eine Kernaussage in den Film einzubetten. Das alles zusammenhängt ist weder neu, noch wird es hier in irgendeiner weise überzeugend vorgebracht. Somit bleibt von dem so sehnlich gesuchten Roten Faden bestenfalls eine blassrosane Faser übrig. Auch die koreanische Sci-Fi-Welt fand ich nicht so ansprechend. Die asiatischen Metropolen sind so hoch entwickelt, dass sie schon heute teilweise so aussehen. Zudem hatte man nur wieder diese Standard-Diktatur zu bieten – öde. Und weshalb designt man die Servicekräfte überhaupt so intelligent, dass sie den Gedanken zur Rebellion fassen können???
Fragen über Fragen, welche aber offen bleiben. Als Kinoerlebnis war der Film nett, aber nichts, was länger im Kopf bleibt.
Ich habe drei Stunden lang auf eine Art Auflösung gewartet, zunächst der Story, später, als sich diese nicht abzeichnete, auf meine eigene. Der Trailer vermittelte den Eindruck, daß die von den jeweils gleichen Darstellern verkörperten Figuren in den verschiedenen Epochen sich ihrer Fortexistenz oder Wiedergeburt irgendwie bewußt seien oder es so etwas wie einen roten Faden gäbe, der die fünf Jahrhunderte verbindet. Tatsächlich waren es jedoch sechs Kurzgeschichten, die ohne Zusammenhang nebeneinander standen. Jede für sich genommen war zu langweilig als daß sie hätte begeistern können.
Einziger Lichtblick waren die Arbeit des Maskenbildners und Hugh Grant, der erstmals seit fast 20 Jahren nicht in der Rolle des alternden Dandys zu sehen war. Der Versuch, europäischen Schauspielern ein asiatisches Aussehen zu verleihen, erinnerte allerdings an Schultheateraufführungen oder an Sean Connery als „Japaner“ in „Man lebt nur zweimal“. Das muß doch besser gehen.
Ich würde den Film gerne noch einmal anschauen, wenn ich den Eindruck hätte, es gäbe irgendeine verborgene Botschaft oder einen Zusammenhang, der mir bislang nicht aufgegangen ist. Aber wenn ich die vielen hilflosen Reviews im Netz durchlese, scheint das eher nicht der Fall zu sein.
Angesichts des für heutige Verhältnisse übersichtlichen Produktionsbudgets und der Tatsache, daß der Film überwiegend in Deutschland hergestellt worden ist, erstaunt es, daß man so viele Stars verpflichten konnte. Im Ergebnis kann man festhalten: Tom Hanks und Halle Berry mußten völlig zu recht drei Stunden lang bei Marcus Lanz ausharren und sich zum Deppen machen. Das hat man eben von so einer Produktion.