9Live: Lieber ein Ende mit „E“, als Schrecken ohne „Sch“
9Live ist tot, zumindest ab Ende des Monats. Katzenhafte „9 Leben“ hatte es, wie der Name schon sagte. Doch nun muss sich der „Hot Button“ einen neuen Job suchen, vielleicht im Atombombenschaltkoffer des US-Präsidenten („Ehrlich, der Zeitpunkt der Angriffe wird zufällig generiert!“) oder als Pickel im Gesicht eines Science-Fiction-Jüngers. Wenigstens wird er dort häufiger gedrückt als bei dem Sender, der sich der telekommunikativen Integration von geistig Behinderten verschrieben hatte.
10 Jahre lang hat sich das Geschäftsmodell gelohnt, nachtaktive (aber hirnkomatöse) Zuschauer vor der abgeschriebenen Seite eines indonesischen Rätselbuches zusammenzuschreien. Das Publikum aus dem Jahre 1960 hätte wohl nur ungläubig den Kopf (Nenne 5 Synonyme für „Kopf!“) geschüttelt, wenn ihm damals jemand erzählt hätte, dass ganze Sendemonate mit der Suche nach Tieren mit „R“ verbracht werden können. Von den anderen Buchstaben des Alphabetes mal ganz zu schweigen.
Aber ich will nicht so tun, als hätte mich die Telefonstreiche im Kopp des bekloppten Zuschauers nicht auch zeitweise fasziniert. Es war faszinierend, auf wie vielen Ebenen, Metaebenen und „Eben, wieder!“-Ebenen die rätselgeilen Millionärsanwärter verarscht wurden: Da wurde der berühmte Flipchart mit den militärisch formulierten Knobelanweisungen nur per Bluescreen eingeblendet (erleichtert das schnelle „Austauschen“ von Lösungen, sollte ein Zuschauer doch mal auf das Tier „Stirnlappenbaselisk“ gekommen sein?) und Moderatoren spielten wie armamputierte Kindergeburtstagszauberer mit gezogenen Zettelchen, Umschlägen und Loskugeln herum, um dem miesen Scheißgewinner in der (langen) Leitung doch noch ein 9Live-Schlüsselband statt den 1.000 Euro unterzujubeln. Und die Rätsel-Urschreitherapeutin Alida sagte dann schon mal zur Regie, dass man den Zufallsgenerator doch erst NACH dem Abebben der Anruferflut auszulösen solle. Wusste man vorher ja auch nicht, dass so ein „Zufallsgenerator“ erst nach schriftlichem Antrag an den Senderbesitzer mal ganz spontan sein darf.
Ist nicht 9Live, aber genau so aufgemacht: Wörter mit „Kinder…“! Die fehlenden richtigen Antworten lauteten: „Kindersoldatenmunition“, „Kinderschänderausbildung“ und „Kindeskinder“. Für letzteres hätte es sogar 29 Trillionen Euro gegeben.
Aber auch stilistisch habe ich in den 10 Jahren viel gelernt, in denen ich viel warme Milch nach Afrika schicken konnte, weil der Sender wunderbar bei Einschlafproblemen half: So gab es stets so hübsche Soundeffekte, als wenn der DJ die Schallplattennadel gegen ein altes Radiergummi ausgetauscht hätte. Doioing, Schubbedubbedubb-Bluuuuub! Kräääääääaaatzzz! Dagegen möchte man direkt eine CD mit den schönsten Songs aus deutschen Autoscootern anbieten! Und die dollen Farben im Studio erst! Stimmt schon, was der Volksmund sagt: Am Ende des Regenbogens kann man tatsächlich einen Goldschatz finden. Zumindest wenn man ein chronischer Knobel-Schreihals ist, der sich nicht zu schade ist, Menschen stundenlang mit „Leeeeetzte Chanceeeee!“ zusammenzubrüllen, bis der eigene Anrufbeantworter qualmt.
Auch unterhaltsam waren die täglichen Versuche, die Zuschauer davon zu überzeugen, dass nur SIE noch zuschauen und sie daher zwangsläufig auch gewinnen müssten (Dass der „Hot Button“ heute als Papsthütchen verliehen worden war und nur sein gemaltes Pendant in der linken Bildecke pulsierte, wurde verschwiegen). Das ging dann meist so: „Samstag Abend! Nach 23 Uhr! Da ist doch niemand mehr wach, echt jetzt! Alle gehen aus, auch die hirnschwundigen Omas nicht! Und wer nicht ausgeht, muss entweder schlafen oder die Lösung nicht haben. Mann, für mich unverständlich, warum SIE bei diesen Chancen nicht anrufen! Mögen sie etwa kein Geld, sie perverses Arschloch? Die Kohlen müssen doch raus!! Ich bekomme Ärger mit der Regie, wenn ich sie nicht arm mache! Ich habe 3 kleine Kinder (gefressen), meine Entlassung können sie doch unmöglich wollen! Ich könnte meinen Job verlieren, wenn die 293.000 Euro nicht rausgehen! Wie? Oh, schon 3 Uhr nachts? Dann spielen wir das Spiel Morgen weiter!“
„Wenn sie sich ein bisschen anstellen, könnte all das Geld hier bald IHNEN gehören!“ – Nein, dieser Satz war nicht für die Zuschauer gedacht, sondern fiel bei einer internen Mitarbeiterschulung zum Thema „Betriebliches Toilettenpapier: Einfach mal einsparen und Daheim den Unterhosen-Joker ziehen!“
Nach 10 Jahren hat all dies nun ein Ende, denn nur die Wurst und der Telefonhörer hat zwei. Wir dürfen uns zum Rätseln wieder mit einem Sudokuheft auf der Terrasse zurückziehen, statt ehemalige Tütenkleber aus dem Knast bei ihren Rehabilitätsversuchen zuzuschauen. Bei SATAN, versteht sich. Und auch Pro7 und RTL brauchen keine von 9Live produzierten Liebesbriefe an die Telekom mehr einkaufen. Vorbei die Zeiten des schnellen „Quiz-Break“, wo der seriöse Rätsel-Quickie („Wie viele Farben hat Blau?“) auch in die Restsender suppte.
Sind wir also gespannt, ob und wie das historisch einmalige Konzept später noch mal aufgegriffen wird, denn so ein abkühlender „Hot Button“ hat eine Halbwertzeit von 300 Jahren. Denkbar wären TV-Gerichtsverhandlungen, bei denen Triebtäter am Flipchart hängen („Rufen sie an und sagen sie mir, was ich dem Typen absäbeln soll!“) oder auch ein Gewinnspiel, bei dem sich Moderatorinnen, Pornostars und eingekaufte Hartz-4-Bratzen (die ihre Telefonschulden aus alten 9Live-Zeiten abarbeiten müssen) für einen Fick zur Verfügung stellen und vom Zuschauer gewonnen werden können.
Auf der Basis des „Doof ruft an“ sind also noch viele zukünftige Lösungen denkbar. Vielleicht werden wir sogar einst den harmlosen Zeiten hinterher trauern, in denen es nur um das Drücken eines undrückbaren Buttons ging…
Das ist natürlich eine tolle Nachricht, daß dieser Schwachsinn endlich verschwindet. Liegt das vielleicht daran, daß es nicht mehr soviele Arbeitslose gibt, die den ganzen Tag dort anrufen können? Das wäre ja dann ein Riesenerfolg für die Regierung. Obwohl bei dem Sender werden doch bestimmt jetzt ein paar hundert Stellen wegfallen. Die hätten ja jetzt wiederum Zeit bei sowas anzurufen…
P.S.: ERSTER!!!
Könnte auch an dem jüngsten Vorstoß des Landgerichts Köln liegen, das es verbieten wollte, Hartz IV Mittel für Glücksspiele einzusetzen. Zwar noch nicht rechtskräftig die Entscheidung, für die 9 Live Macher jedoch ein Schock. Wenn dieses Urteil Nachahmer unter anderen sozialromatischen Richtern findet, drohen 9 Live mit einem Schlag 99% der Kunden wegzubrechen. Da hört man doch lieber freiwillig auf, bevor die Quizfrage lautet: „Welches Wort fängt mit „Untersuchung“ an und hört mit „Haft“ auf?
Vielleicht hat es sich auch nur selbst schon bei den Gehirntoten rumgesprochen, dass man sein Geld lieber zum Popowischen verwenden sollte, statt da anzurufen. Als HIV-Empfänger kommt man bei dem Verein doch eh nicht weit. Da braucht man schon ein Politikergehalt.
Ich finde die Doppelmoral des Autoren unerträglich. Spricht sich HIER gegen Call-In aus, sackt aber an anderer Stelle fett die Föderationsdukaten ein, wo das deutsche Gesetz nicht greifen kann:
http://www.youtube.com/watch?v=hAGJjyLMqlo
http://www.youtube.com/watch?v=VLAxO9gxsB4
Wo ist die Auflösung von Teil 2? Was ist passiert? Ich will es wissen. JETZT!dreidreidreiunddreissig.
Vielleicht hören sie auch auf, weil der Umsatz auf ein Kleinzigstel der „guten“ Zeiten zusammengebrochen ist?
Ich denke auch, dass es vorallem daran liegt, dass nun so nach und nach bei immer mehr Konsumenten dieses Senders die Frustschwelle erreicht wurde, und dazu inzwischen wahrscheinlich doch auch viele durchschaut haben, wann man da anrufen kann und auch die Chance hat durchzukommen, oder wann erstmal eine Stunde lang gar nichts passiert – und von diesen Lösungs-Pausen lebte ja letztendlich der Sender. Rentabel wird 9Live wahrscheinlich immernoch sein, nur eben nicht mehr rentabel genug, als dass der Imageschaden, den ProSiebenSat1-Media als Besitzer von 9Live natürlich erfährt, kompensiert werden könnte. Es wird ja auch gemutmaßt, dass sie die Senderfrequenz an den Weiberkanal sixx vergeben wollen, ein Sender der Medien-AG, der wohl ganz gut läuft und noch Luft nach oben hat. – sicherlich ein weiterer Grund. Bis vor ein paar Monaten hatte man auch einfach keinen brauchbaren Ersatz für 9Live.
„wann man da anrufen kann und auch die Chance hat durchzukommen“
Nie! Ich dachte, das hätte sich auch hier schon rumgesprochen. Reale Personen bekommen da so gut wie nie eine reelle Chance, außer vielleicht mal 1 von 100 000 als Alibifunktion oder wenn die Gewinnchance sowieso gerade gleich Null ist. Der Rest sind zu 99,9 % bezahlte Mitarbeiter.
@Sparki,
@Klapowski,
zum Thema Geschäftsmodell: Wollt ihr nicht mal bei dem Micropayment-Netzwerk Flattr (für Journalisten und Autoren) einsteigen? Immerhin betreibt ihr die Seite schon sehr lange, kostenlos für Zuleser, und ich als 10 Jahre treuer Zuleser würde euch sogar per Monatszahlung abonnieren.
Flattr wird beworben als Möglichkeit, Blog-schreibenden Menschen für ihre Mühe „Danke“ zu sagen. Kann man natürlich auch so: Danke ihr beiden.
„Kann man natürlich auch so: Danke ihr beiden.“
Watt? Wie schrappig!
Dabei ist Rechts im Menü jetzt auch dieses Dingsbums zum Flattrn (Flachlegen?) zu finden.
Vielleicht kann Kollege Klap auch irgendein Lockangebot machen. Wenn 10 Euro zusammenkommen ein neuer Voyager-Dampfhammer? Oder reicht das noch nicht als Schmerzensgeld?
Eine Zeit lang gab es die Spielchen wenigstens noch in der Titten-Variante mit Biggi Bardot + Pornodarstellerin in der Drehpause.
@Will Smith!
Ich bin durchaus weiblicher Schönheit gegenüber aufgeschlossen,
gerne auch leicht bis gar nicht bekleidet,
aber was ich beim Zappen Nachts ad sehen mußte war eher :würg.
Ansonten :
Keine Meininung zu 9Live und anderen HIV Empfänger (gröhl) Sendungen.
Gruss BergH
Wo bleiben jetzt die Moderatoren? Würede mich mal interessieren.