„Alpha 0.7 – Der Feind in Dir“ (I) – SF-Serie aus Deutschland
Eine deutsche SF-Serie im Öffentlich-Rechtlichen? Das klingt ein bisschen wie ein tschechischer Hollywood-Blockbuster oder wie „Pleiten, Pech und Pannen“ ohne Tiere, Sportunfälle und kleine Kinder: Irgendwie unmöglich. Doch der SWR wagte das gefährliche „Heute mal keinen Krimi“-Experiment und präsentiert ab diesem Sonntag „Alpha 0.7“, eine Low-Low-Budget-Serie. Da mussten wir natürlich mal reinsch(l)auen!
Relativ experimentell, frisch und ein klein wenig ungewöhnlich. – Kein Wunder, dass der Sender dieser Miniserie einen Ehrenplatz freigeräumt hat: Spätabends, bunt im Programm verteilt. Also genau die Zeit, zu der sich die arbeitende Bevölkerung sagt: „Haaaach! Jetzt noch ein bisschen SWR gucken und Morgen eine halbe Stunde später ins Büro gehen!“
Aber der Reihe nach: Wir befinden uns im Deutschland des Jahres 2017: Flachbildschirme sind noch flacher und allgegenwärtiger; sonst ist aber alles wie immer, danke der Nachfrage. In Stuttgart wird der EU-Kommission und der Presse ein neuartiger Gehirnscanner vorgestellt. Dieses Gerät soll schon vor einer Straftat anzeigen, dass diese geschehen wird. Also praktisch „Minority Report“ ohne irre Scientologen und optischem Anspruch. Doch eine Widerstandsgruppe sorgt mit einer Störaktion für Aufmerksamkeit (eingeschmuggelte Plakate! Mann, wie cool ist das denn?!) und wird eingesperrt.
Gleichzeitig erfahren wir, dass eine Familienmutti irgendwie, irgendwo in einen Autounfall verwickelt war, bei dem ein bekannter Neurowissenschaftler ums Leben kam. Einziges Problem: Sie kann sich kaum noch daran erinnern. Die BÖSEN Menschen von der REGIERUNG(c) scheinen jedoch irgendwas damit zu tun zu haben, was erklären würde, warum sie ständig in schlecht ausgeleuchteten Räumen auf Computermonitore starren. Oder mit dubios-kaltem Gesichtsausdruck solche Sachen wie „Es geht los“ murmeln. Wäre ja auch hochgradig zum Heulen, wenn ein BÖSER(tm) mal Lachen würde oder gar sympathisch rüberkäme! Oma Platuschke wäre völlig verstört, wenn sie nicht eh tot vor dem Fernseher liegen müsste, um ÜBERHAUPT so etwas im Öffentlich-Rechtlichen zu verfolgen!
„Ironie der Geschichte: Das Gehirn des Erfinders des Gehirnscanners ist zu zermatscht, um noch gescannt zu werden. Ha-Ha! Verstehste?“ – „Halt die Fresse und mach ein paar schnelle Schnitte an dieser Stelle, damit es nicht nur wegen des Humors verstörend wirkt, klaro?“ – Doktor Brain ist tot. Das ist aber nicht schlimm, denn das allmächtige Drehbuch verlangte nach einem so jungen Menschenopfer. Dieser SWR-Zuschauer war erst 47…
Aber erst mal das Positive: Die Darsteller spielen nicht schlechter als bei deutschen Serien üblich (wäre für so eine kleine Produktion auch zu aufwendig?), die Schauspieler wirken nett und die Frauen optisch ansprechend. Der muffig-germanische Charme (so startet eine der ersten Szene mit dem Fegen einer Besserverdiener-Siedlung) wird zudem durch kleine Flatscreen-Spielereien aufgelockert. Schnitt sowie Musik gehen in Ordnung. Hier verdienen sich die Macher immerhin einen anerkennenden(!) „Nachmaaaacher!“-Zuruf in Bezug auf die kopierten US-Vorbilder. Dass den Machern für 6 Folgen à 25 Minuten nicht mal das Budget EINER US-Serienepisode zur Verfügung stand, sollte ich fairerweise auch noch anbringen.
Darüber hinaus ist aber nicht viel Eigenständiges vorhanden: Die Story ist so popelig politisch, gewollt gesellschaftskritisch und für SF-Fans so nicht-neu, dass man sich in einem stinknormalen TATORT wähnt, der zufällig 7 Jahre zu früh ausgestrahlt wurde. Der Ansatz ist natürlich brauchbar und wird in den folgenden 5 Folgen bestimmt noch ausgebaut, einschalten (natürlich on YouTube, gecheckt, SWR?) werde ich hiernach aber vermutlich nicht mehr.
Auch preisgünstige SF kann sicherlich moderner sein als uralte Variationen von „1984“, „Schöne neue Welt“, „Fahrenheit 451“, „Clockwork Orange“ und „Hallo Spencer“ (die Folgen mit Galaktika). Dieses krampfhaft Gesellschaftskritische – was das unkritische Übernehmen von Öff-Rechtlichen Kritik-Konventionen beinhaltet – ist heute nicht mehr unbedingt zeitgemäß.
„ …und daher sind wird besonders stolz darauf, an diesem Tage ein SF-Konzept von Vorgestern enthüllen zu können, lieber Statistinnen und Statisten. Mit DIESEM Gerät, das ich eben erst aus dem IKEA getragen habe, ist es uns möglich, den Sender SWR um ganze 2,73 Jahre zu verjüngen, und das sogar DAUERHAFT, falls demnächst die Zeit stehen bleiben sollte!“ – Mut tut gut: Die Präsentation vom Gehirndings hat mir direkt wieder Lust auf langweilige Dia-Abende gemacht!
Dem Zuschauer einen „Gehirnscanner“ in Form einer Stehlampe hinzustellen („Hey, Ernst-August, so eine kaufen wir uns auch!“), ist ja noch okay, aber diese platt-plumpe Klischee-Verkettung ging mir auf den Zeiger: Die Funktionsweise des interessanten Geräts wird in der ersten(!) Folge extrem oberflächlich beschrieben. Ebenso unspannend dann der Einwurf aus dem Publikum: „Und was ist, wenn sie Unschuldige erwischen?“ – „Dass das möglich wäre, dürfen wir nicht zugeben, da sonst die Serie hier schon zuende wäre!“ – „Also, was ist jetzt mit den Unschuldigen?“ – „Unschuldige erwischen geht nicht, da dies hier ja Wissenschaaaaft ist!“
Ja, kein Wunder, dass die Deutschen TODESANGST vor jeder tollwütigen Gen-Kartoffel haben: Die Wissenschaftler überschätzen sich regelmäßig, sind machthungrig und lahmgesichtig, während die „Grünen“ jung, dynamisch und kreuzsympathisch für das Gute im Dingsbums kämpfen. Kein Wunder, dass das erste(?) Opfer des Gehirnscanvereins gleich bei diesen kompetenzverstrahlten Aktivisten anruft: „Guckt mal bei den BÖSEN im Intranet, dann werdet ihr schon sehen! Bis dahin sind die übrigens schon hinter mir her, schwitz, röchel, ich muss weiter!“
Aber: So ist das nun mal, wenn man wenig Geld hat und vom SWR auch ausgestrahlt werden will: Mit wenig Budget und pseudo-anspruchsvollem Gutmenschenfernsehen (Greiser Intendant: „Hey, das erinnert mich an dieses hippe Buch mit diesem Big-Bruder-Typen!“) kommt man da am ehesten weiter. Mit leicht klischeehaften Familien (Er: Anwalt, Tochter: Pubertätsgeschädigt) kann man auch nichts falsch machen. Und verunglückte Neurowissenschaftler sind natürlich männlich, alt und sehen aus wie Sigmund Freud.
„Toll, wegen euch beiden bin ich jetzt im Knast!“ – „Nein, falsch! Weil wir an die Filmhochschule wollen, sind wir hier! Hatten wir doch vorher besprochen?!“ – „Also ICH bin hier, weil ich für ‚Germanys Next Topmodell‘ zu hübsch war!“ – Sperrt mal die Ohren auf… äh… ein: Es ist natürlich nicht nett, akzeptabel spielende Jungdarsteller so zu verhohnepiepeln. Andererseits ist dies hier eine jener Produktionen, bei denen sich nachher glatt Darsteller auf Zukunftia melden könnten, weil sonst kaum einer drüber schreibt…
Fazit: Man sollte nicht ungerecht sein: Für ein ambitioniertes Underdog-Projekt sehr professionell gemacht! Daher gibt es auch noch eine wohlmeinende Note, die bei einem groß angekündigten US-Format allerdings noch weiter abgerutscht wäre. – Zu althergebracht und 08/15 wirkt die Geschichte in der ersten(!) Folge. Ein GEZ-Mahnschreiben zu lesen ist anspruchsvoller als das hier. Was natürlich nicht heißt, dass es etlichen „non-SF-Zuschauern“ nicht doch schon zu schräg sein könnte. („Hirn-Skänna? Ist doch an der Kasse vom Aldi, wenn man den Kopp vom Tiefkühlhähnchen auf die Kasse legt, oda?“)
Hier übrigens die ganze Folge:
Dafür sind die Darsteller sogar überraschend gut, zumindestens wenn man als Maßstab die Kollegen von Sendeverbrechen wie „Verbotene Liebe“ in Betracht zieht. Will sagen, die Dialoge klingen nur selten wie abgelesen und manchmal erkennt man sogar so etwas wie ein Minenspiel. Die Charaktere selbst wirken dafür aber noch sehr flach und uninteressant. Oder sehr nervig, wie z.B. einer der „Datenschutz-Terroristen“, welcher derart einen auf „locker-cool“ macht, daß man vor lauter fremdschämen kaum noch dazu kommt, sich mit dem Rest zu befassen.
Inhaltlich lässt sich das Ganze wohl am Besten als „Minority Report für Arme“ zusammenfassen, inkl. „Pre-Crime Department“. Zwar sorgen hier keine Mutanten in Seifenlauge für die Erkennung der Baldschon-Verbrecher, sondern der bereits erwähnte Trockenhauben-Scanner, aber hier wie dort gibt es einen roten Faden rund um die Korruption dieses Systems und die üblichen bösen Hintermänner. Eigentlich schon irgendwo eine Frechheit, daß es im Abspann nicht einmal eine Inspirationsbekündung an Philip K. Dick gibt.
Fazit: Abgekupferte Low-Budget-Serie mit Blutarmut, welche optisch kaum von einer beliebigen deutschen Krimiserie zu unterscheiden ist. Und uns zudem wieder einmal vor Augen hält, daß das deutsche Fernsehen in Sachen Einfallsreichtum und Produktionsfeinschliff immer noch ein Entwicklungsland darstellt.
Zwar hatte ich mir das Ganze noch wesentlich schlimmer vorgestellt, aber bis auf den Heimspiel-Bonus wüßte ich keinen Grund, warum ich dieser Serie gegenüber denen aus den USA oder auch England den Vorzug geben sollte. Immerhin, mit lediglich ca. 22 Minuten Laufzeit sackt die Langeweile nicht in unterirdische Bereiche ab. Aber soweit kommt es noch, daß ich das Argument „Ist immerhin kurz!“ als positives Element in die Wertung einfließen lasse! Und ändern könnt ihr diese auch nicht mittels Hirn-o-mat. Hab nämlich ’nen Schreibschutz drin, ha!
Wertung: 3 von 10 Punkten
Wie bei jeder halbgaren SciFi-Geschichte macht man den Fehler, nicht weit genug in die Zukunft zu gehen, um die Sache von vornherein unglaubhaft zu machen. Stets sollen in viel zu kurzer Zeit revolutionäre technische und gesellschaftliche Veränderungen stattfinden. 2017 – das klingt nach düsterer Zukunft im Lande Weit Weit Weg, liegt in Wirklichkeit aber noch im mittleren Planungsbereich jedes Grundschülers.
Und wie ein Vergleich zwischen Call of Duty 1 und Call of Duty – Black Ops zeigt, sind technische Quantensprünge in nur sieben Jahren kaum zu erwarten. Selbst die Zukunftsvision des Jahres 2015 in „Zurück in die Zukunft II“ wirkt heute hinreißend naiv. Von fliegenden Autos, Pizzahydration und Hologrammen sind wir weiter entfernt denn je. Und die technischen Zukunftsprognosen in „Terminator“ sind auch nicht annähernd eingetreten.
Was sich bei einem Hollywood-Blockbuster im Rückblick als ärgerlich darstellt, geht dem SWR aber vermutlich am Arsch vorbei, ist man sich doch wie bei 98% aller öffentlich-rechtlichen Produktionen sicher, daß diese für immer im Archiv verschwinden und nie wieder ausgetrahlt werden. Man wird also nicht in die Verlegenheit geraten, daß sich in 7 Jahren bei der Wiederholung jemand am Kopf kratzt und sich über die Abwesenheit von Gehirnscannern wundert.
Originell ist allein der Einfall, im Jahre 2017 alle Leute mit wenigstens 7 Jahre alte Autos herumfahren zu lassen. Neuwagenbaustop ab 2011?
Stichtowrt: Zurück in die Zukunft 2.
Eine Sache haben die Macher aber richtig prophezeit. Da gibt es nämlich eine Szene mit einem 3D- Hai für „Der weiße Hai, Teil 17!“
In der Tat hatten wir in den letzten MOnaten ja einen rechten 3D-Wahn, was Kinofilme anging. Wer weiß, vielleicht sind die Filme in 5 Jahren, dann auch in der im Film gezeigten Hologram-Form zu sehen, lol.
In einer Sache sieht der Film sogar recht alt aus. Da gibt es ein „You’re fired Fax“. Obwohl das gute alte Fax noch nicht obsolet ist- die E-mail hat dem Fax trotzdem längst den Rang abgelaufen. Das hat Zurück in die Zukunft 2 nicht vorausgesehen.
Bei aller Technophilität des G.G.H.; ich bin nicht gerade traurig darüber, daß es keinen T 800 gibt, der durch die Straße latscht. Darauf kann ich gern verzichten.
Ich wollte es gestern noch geschrieben haben… Es freut mich zu sehen, dass die aktuelle BMW Produktpalette noch mindestens 7 weitere Jahre Bestand haben wird:D
Mein Bericht aus einer noch entfernteren Zukunft (2019):
Noch keine Hirnscanner in Sicht…
Gruß Ben3000