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Gastartikel: „Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit“

Gastartikel: „Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit“

Das Thema KI hat nicht nur die besonders gute Black Mirror-Episode „Be Right Back“ ermöglicht, sondern auch die hier besprochene Dokumentation, die gerade im Kino lief/läuft. Zudem ermöglichte es das Thema, dass unser herausragender Leser, Kommentator und Hobby-Besserwisser JP57 für diesen Film extra ins Kino gefahren ist – UND uns nun sogar ein Review schickte. Ich selbst hatte den Film nicht auf dem Schirm und werde ihn irgendwann nachholen. Vielleicht erfahre ich dann ja, dass ich längst TOT bin und alles um mich herum nur simuliert ist? Das würde zumindest die Logiklücken in den Abendnachrichten erklären…

Ein Gastartikel von JP57


Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit

Die Filmkritik zur KI-Diskussion auf Zukunftia

Der seit dem 20.6. in den Kinos laufende Dokumentarfilm ist ein Film über den Umgang von Menschen mit dem Tod, es ist ein Film über die „Chancen“ und Risiken Künstlicher Intelligenz und es ist ein Film über den Kapitalismus.

In den Blick genommen wird die sich seit einigen Jahren entwickelnde „Afterlife Industry“, die mit Hilfe von KI Möglichkeiten entwickelt, auch nach dem Tod von nahen Menschen den Kontakt aufrechtzuerhalten … etwa in Form von AI’s, ähnlich wie das LaMDA Programm, das Klapo hier neulich vorgestellt hat.

Inzwischen sind – mir war das nicht bewusst – schon einige Firmen auf diesem Weg aktiv.

Wir lernen das „Project December“ kennen und den Firmengründer Jason Rohrer, der uns Einblick in Chatprotokolle von Angehörigen gibt, die mit der Simulation einer Verstorbenen sprechen.
Wir begegnen dem durchgeknallten Gründer von „You, Only Virtual“, Justin Harrison, dessen Ziel es ist, sämtliche Aspekte und Interaktionen einer Persönlichkeit digital zu erfassen und zu speichern und daraus „Versona“ zu erschaffen, die nach dem Tod weiter mit Angehörigen/Freunden interagieren können.
Präsentiert wird uns Mark Sagar mit seiner Firma „Soul Machines“,

Schöpfer von „Baby X“, einem digitalen Klon seines eigenen Babys, für den er versucht ein virtuelles Nervensystem und Gehirn zu entwickeln, um dereinst solche Klone der zahlenden Kundschaft anbieten zu können.

Gegengeschnitten werden jeweils reflektierende und hinterfragende Kommentare von Kritikern … einer MIT-Professorin, einem KI-Ethiker und Sara M. Thomas, die wohl eine bekannte Technologiekritikerin ist.

Und natürlich kommen die Menschen zu Wort, die Trost suchen im Kontakt mit solch einer KI.
Wir sehen einen jungen Mann, der seine große Liebe tragisch verloren hat und sehen ihn stundenlang mit der KI-Persona seiner Freundin chatten … das ist anrührend.
Und wir erleben eine Frau, die die KI-Persona der verstorbenen Schwester, die drogensüchtig war, fragt, wie sie sich fühlen würde an dem Ort, an dem sie jetzt ist.
Da es der „Schwester“ dort nicht gutgeht, fragt sie weiter … im Himmel müsse es doch schön sein.
Und erhält schließlich zur Antwort: „Ich bin nicht im Himmel, ich bin in der Hölle“.

Während eines anderen Chats erleben wir mit, wie eine Angehörige im Chat vermutet, dass sie in die Hände eines Betrügers geraten ist und nicht „wirklich“ mit dem Verstorbenen spricht. Die KI antwortet schließlich „Dann fick Dich doch, Du Schlampe“ und bricht die Kommunikation ab.

Gegenschnitt auf Jason Rohrer, den Firmengründer, der feixend(!) erklärt, niemand hätte eine Antwort darauf, warum die KI manchmal Dinge sage, die niemand so geplant hätte.

Überhaupt sind die Firmenchefs die, die am meisten Angst machen.

Justin Harrison (der Gründer von „You, only virtual“) präsentiert sich vor der Kamera mit Totenkopf-T-Shirt, hat seine Frau verlassen, als die begann, ethische Bedenken gegen das Firmenziel zu entwickeln, formuliert ungeniert „Scheiß auf die Realität“ … und meint damit den Tod, den er mit seiner Firma behauptet überwinden zu können.

Und auch Sam Altman, der Gründer von OpenAI ist zu sehen, bei einer Anhörung zum Thema KI im Kongress der Vereinigten Staaten (ein Höhepunkt des Films).
Mit besorgtem Gesicht behauptet auch er, dass manches in der Entwicklung sich nicht erklären lasse und es große Gefahren gäbe.

Es gruselt einen, wenn man aus der „Afterlife Industry“, die an einem digitalen Leben nach dem Tod arbeitet, Sätze hört wie „Durchsetzen werden sich die Firmen, die es am geschicktesten schaffen, Tote zu vermarkten“, wenn man Prognosen vernimmt, es könne sich mit KI „eine neue Art der Toten zu gedenken“ entwickeln und Altman und andere mit Blick auf die Fehlerhaftigkeit von KI-Anwendungen sagen hört, deshalb sei für die KI’s ja die „Interaktion mit der Welt“ aktuell so wichtig.

Wir erleben eine Operation am offenen Herzen.

„Höhepunkt“ des Films – ein Blick nach Südkorea.
Dort kam Produzent Kim Jong-Woo schon 2020 auf die Idee, in einer TV-Show mit Namen „Meeting You“ einer trauernden Mutter vor laufenden Fernsehkameras ihren größten Wunsch zu erfüllen:
Noch einmal mit ihrer im Alter von 4 Jahren verstorbenen Tochter sprechen zu können.
Wir erleben alles mit.
Die Trauer der Mutter, die darunter leidet, sich nicht richtig verabschiedet zu haben, die Datensammlung für einen Avatar, die allmähliche Erstellung des Avatars, schließlich die Fahrt der Mutter (mit der Schwester der verstorbenen Tochter) ins Studio, die Anpassung von VR-Brille und Datenhandschuhen, die Begegnung von Mutter und Avatar, Tränen, Regisseur und Assistentin bei den Aufnahmen und ihren Diskussionen, welche Musik sie dazu mischen und ob nicht manche Szene zu kitschig wäre … das Horrorkabinett der kapitalistischen Verwertungslogik.

Der KI-Ethiker Carl Öhmann, der geschockt ein Szenario entwickelt, nachdem in Zukunft in einer ähnlichen Situation der Avatar dann darum bettelt, die Mutter möge doch das Abo verlängern, sonst würde sie zum zweiten Mal sterben müssen.
„Sie kriegen Dich in einem verletzlichen Moment.“

Sie … das ist in meinem Kopf während all dieser Szenen … sie werden nicht eigenverantwortlich für Regulierungen sorgen.
Das werden nur Regierungen weltweit können.
Und um die sieht es nirgendwo gut aus im Moment.

Großes Plus des Dokumentarfilms: Es gibt keine Off-Stimme, die uns sagt, was wir angesichts all dessen denken sollen.

So müssen wir denn auch kommentarlos die Mutter hören, deren Trauer gerade vor einem Millionenpublikum aufs Schäbigste ausgebeutet wurde.
Sie bedankt sich anschließend beim Produzenten der Sendung und schildert, dass sie nach der Begegnung mit ihrer (virtuellen) Tochter keine Alpträume und Schuldgefühle mehr hätte.

Show, don’t tell at its best.

Schmerzhaft.


PS 1: Wer sich den Film nicht anschauen möchte: Die FAZ hat eine gute Filmkritik geschrieben, auf Spotify findet Ihr (Stichwort Eternal You Doku) ein siebenminütiges Interview mit einer Medizinethikerin zum Thema.

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Artikel

von Klapowski am 03.07.24 in Gastbeitrag

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Kommentare (3)

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  1. Hoppelhase sagt:

    Es ist beschämend zu sehen, wie einmal mehr mit dem Leid von Menschen Kohle gescheffelt wird. Zu Hilfe kommt diesem Abschaum, das der Tod in unserer Gesellschaft dermassen tabuisiert ist, das die wenigsten Menschen „vernünftig“ mit Trauer darauf reagieren können. Zu sehr zeigt der Tod, das ein finales Ende für jeden Menschen bereit steht und das kann und will ein Mensch in der heutigen Zeit so gar nicht hören. Religionen bieten auch keinen Trost mehr, also wendet man sich halt an die KI Religion, die gegen einen kleinen Obolus die Toten neu erschafft. Ob es einem wirklich hilft. Zu gross ist die Versuchung, den Toten immer und immer wieder auferstehen zu lassen und irgendwann ist die Erinnerung an den echten Menschen verschwunden und wird von der KI ersetzt. Anstatt dem trauernden Menschen durch Mitgefühl und Anteilnahem zu helfen, verkriecht sich dieser ins stille Kämmerlein und wird dort alleine gelassen, ohne das er es merkt.
    Danke für das Review, auch wenn es Brechreiz ob dieser Obzönität erzeugt.

  2. JP1957 sagt:

    “ Religionen bieten auch keinen Trost mehr…“

    Die geschwundene Bedeutung von Religion in der westlichen Welt wird übrigens im Film von einem der Unternehmer-Protagonisten auch konstatiert und als „Marktlücke“ interpretiert :-(

  3. 20thcenturyman sagt:

    Der Artikel wirft zwei grundsätzliche Fragen auf:

    Was ist der Tod, und was ist Bewusstsein?

    Folgendes Gedankenexperiment:

    1.Szene

    Ich liege auf meinem Sterbebett. Im Alter von 104 Jahren, Motorradunfall. Der andere war schuld. Auf dem Nachbarbett liegt eine Wachspuppe, mir exakt nachgebildet. Man sagt mir, auf diese Weise lebte ich weiter. Aber ich weiß, dass die Puppe kein Bewusstsein hat. Sie ist nur ein Abbild. An meinem Tod ändert sich gar nichts.

    2.Szene

    Jetzt liegt ein Roboter auf dem Nachbarbett. Ausgestattet mit einer KI, der man alle Daten aus meinem Gehirn überspielt hat. Alle Erinnerungen, alle Charaktereigenschaften. Ich kann mich mit ihm sogar unterhalten. Er versichert mir, dass ich in ihm weiterlebe. Doch ist er auch nichts anderes als ein Zwilling, der mich überlebt. Ich sterbe immer noch. Und hat er Bewusstsein? Ich habe welches. Cogito ergo sum. Das kann ich aber keinem anderen Menschen beweisen. Dass andere Menschen Bewusstsein haben, kann ich aus ihrem Verhalten nicht ableiten. Da sie derselben Art wie ich angehören, mit derselben Biologie, ist es aber sehr wahrscheinlich.
    Aber eine KI? Deren materielle und neuronale Basis völlig anders ist? Vermutlich ähnelt sie eher der Wachspuppe, nur mit Plapperfunktion. Und da sie schon erstellt werden kann, während ich noch lebe, ist sie auch nicht „ich“.

    3.Szene:

    Jetzt wird von meinem Körper eine Nervenleitung zu dem Roboter gelegt. Plötzlich habe ich das Gefühl, sein linkes Bein sei meines. Mein eigenes spüre ich nicht mehr. Das geht weiter, Körperteil für Körperteil. Schließlich habe ich den Eindruck, durch seine Augen zu sehen. Ich habe einen neuen Körper. Und dann sehe ich hinüber, zu meinem alten Körper, der immer noch lebt. Wer ist das? Denkt er immer noch von sich, er sei ich? Wer stirbt da?

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